Chiemgau-Impakt: der Blick nach Russland

Tschebarkul 2013 Superbolide, Tscheljabinsk, Russland – Was wissen wir derzeit?

Nachdem sich die erste Aufregung über die Explosion (*)(siehe Artikelende) und den Impakt des Meteors  gelegt hat und  etwas sachlicheren Informationen mit wissenschaftlicher Bedeutung Platz gemacht hat, wollen wir hier auf unserer Webseite dem gegenwärtigen Kenntnisstand etwas mehr Raum geben. Ein solches Ereignis, das wir nunmehr in Russland erlebt haben, wirft verständlicherweise ein Schlaglicht auch auf den Chiemgau-Impakt und die mit ihm zusammenhängenden Diskussionen über die Parameter des Einschlags wie Art des Impaktors, Zerlegung in der Atmosphäre und die Größe des Streufeldes.

 Quelle: Svetlana Korzhava; WIKIMEDIA COMMONS

Wesentliche Informationen stammen unmittelbar aus Russland, wohin das CIRT bekanntlich gute wissenschaftliche Beziehungen pflegt, und insbesondere bedanken wir uns für die persönlichen Mitteilungen von Dr. Slava Gusiakow von der Holocene Impact Working Group.

Unser Artikel:

Am 15.2.2013 erschien um 7:20:26 Ortszeit (3:20:26 WZ) ein Meteor über dem Verwaltungsbezirk Čeljabinsk (am Fluss Miass, mittlerer/südlicher Ural).

Die Druckwelle des Impakts führte zu erheblichen Schäden an 4715 Gebäuden (vor allem 200,000 m2 Glasflächen) und in Folge zu 1240 verletzten Menschen (davon mussten 42 in Krankenhäusern untergebracht werden). Der entstandene Schaden wird auf 1 Milliarde Rubel (ca. 33 Millionen USD) geschätzt. 4660 Menschen und 1047 Fahrzeuge waren in Rettungsmaßnahmen einbezogen.

Über die Flugbahn des Objekts, seine Herkunft im Planetensystem und seine Beschaffenheit ist auch mehr als eine Woche nach dem Ereignis noch keine eindeutige und exakte Aussage möglich.

Diverse Daten wurden über Seismographen des USGS, durch Infraschall-Messungen der CTBTO, durch Wettersatelliten (z.B. Meteosat-9, Meteosat-10, Fengýun 2-05, MTSAT-2), durch Videoaufzeichnungen (Dash-Cams), Augenzeugenberichte (Laien, Piloten von Verkehrsflugzeugen) und Bodenprospektion (Polizei, Forscherteams) gesammelt und in die fortlaufende Auswertung einbezogen. Meteosat 9 und 10 fotografierten die Spur des Meteoroiden in der Atmosphäre. Der chinesische Wettersatellit Fengýun 2-05 machte zudem eine Infrarotaufnahme. Der japanischen Satellit MTSAT-2 konnte die Spur noch neun Stunden nach dem Ereignis detektieren und stellte fest, dass dort die Temperatur mit -31°C deutlich höher als die der umgebenden Atmosphäre (-108°C) war.

Die vorliegenden Messresultate und Augenzeugenberichte machen es jedoch möglich ein gewisses Bild vom Ereignis zu gewinnen. Die Forschungskampagnen der nächsten Monate werden sicher die jetzigen Aussagen vertiefen, vermutlich aber auch hier und da etwas ändern.

Flugbahn

Zur Flugbahn des Meteoroids (Trajektorie) gibt es teilweise unterschiedliche Aussagen. Der Russischen Akademie der Wissenschaften zufolge (http://www.ras.ru/news/shownews.aspx?id=1da2959b-902f-46b2-9f1f-0c62d19740e8#content) trat das Meteoroid mit 15-20 km/s in die Lufthülle ein und brach in einer Höhe zwischen 50 und 30 km auseinander. In 15—5 km Höhe wurde die maximale Energie von 100-200 KT (äquivalent TNT) freigesetzt. Nach Sergejs Zaharova, (Russische Geographische Gesellschaft) kam das Objekt aus Richtung Südosten und flog nach Nordwesten (Azimut ca. 290°). Die Trajektorie ging von Jemanschelinsk (54° 45′ 0″ N, 61° 19′ 0″ O) nach Miass (55° 0′ 0″ N, 60° 6′ 0″ O). Das Meteoroid schien nach Augenzeugenberichten „aus der Sonne zu kommen“.

Nach derzeitigen Angaben der NASA (http://www.nasa.gov/mission_pages/asteroids/news/asteroid20130215.html) soll das Objekt in ca. 25 bis 15 km Höhe aufgeleuchtet sein. Der Winkel der Flugbahn betrug weniger als 20°. Der Meteorit hatte einen Durchmesser von etwa 17 Metern und wog 7,000 bis 10,000 t. Die Fluggeschwindigkeit beim Eintritt betrug 18 km/s (64.800 km/h). Das Objekt bewegte sich für 32,5 s in der Lufthülle, bevor es auseinanderbrach. Die durch den Airburst (Explosion in der Luft) freigesetzte Energie belief sich auf ca. 500 KT (äquivalent TNT).

Infraschall-Messstellen der CTBTO, die gemäß dem Vertrag zum Stopp von Kernwaffentests die Überwachung weltweit sicher stellen sollen, hatten die Ursache erheblicher Infraschall-Emissionen im Uralgebiet geortet. Noch bis nach Alaska, 6,500 km von Tscheljabinsk entfernt, konnten genügend Messwerte gewonnen werden. Daraus (Peter Brown, University of Western Ontario, Canada) konnten Abschätzungen zur Größe und Masse des Objektes getroffen werden: ca. 15 m und ca. 7,000 t.

Nach Zuluaga, Jorge I. and Ferrin, Ignacio: A preliminary reconstruction of the orbit of the Chelyabinsk Meteoroid. 1302, 2013, S. 5377. arXiv:1302.5377. Bibcode: 2013arXiv1302.5377Z leuchtete das Objekt in der Morgendämmerung in einer Höhe zwischen 47 und 32 km über der Erdoberfläche auf. Der Radiant (Ausstrahlungspunkt am Himmel) befand sich im Sternbild Pegasus und ging nahe der Sonne vor ihr links oberhalb am östlichen Horizont auf.

Beim Durchgang durch die Atmosphäre und insbesondere bei der folgenden Fragmentierung wurde durch Ionisation der Luft und Ablation des Materials ein Superbolide mit mehr als Sonnenhelligkeit (-26 mag) erzeugt. Multiple Detonationen (wenigstens drei) waren zu hören, die erste davon am lautesten. Fünf Sekunden dauerte die erste Explosion, dann folgte eine Druckwelle, die nach ca. 1 Minute den Erdboden erreichte und die größten Schäden hervorrief. Deutliche Leuchtspuren und Rauchschleppen waren am Himmel zu erkennen. Zudem wurde ein kräftiges Zischen (elektromagnetische Phänomene in der Atmosphäre) vernommen. Das Zentrum der Detonation lag über dem Süden von Tscheljabinsk im Bezirk Jemanschelinsk — Juschnouralsk. Die Druckwelle hatte einem Kilometer südwestlich des Zentrums von Tscheljabinsk ein Erdbeben der Stärke 2.7 ausgelöst (15.2.2013, 03:20:26 GMT).Das Tunguska-Ereignis (1908) erzeugte ein Erdbeben der Stärke 5.0.

In einem Gebiet von 25,000-30,000 km2 wurden Gebäude beschädigt. Der Airburst konnte über ca. 600,000 km2 mit bloßem Auge gesehen werden. Die sichtbare Flugbahn war 400-500 km lang.

Nach den bisher vorliegenden Daten bewegte sich der Tscheljabinsk-Meteoroid auf einer elliptischen Bahn, deren Aphel über den Marsorbit hinausreichte (Quelle: NASA). Es wird vermutet, dass er zur Gruppe der Apollo-Asteroiden gehörte. Die von drei verschiedenen Autoren (American Meteor Society http://www.amsmeteors.org/2013/02/large-daytime-fireball-hits-russia/, IAU http://www.webalice.it/mizar02/articoli/Meteorb.dat; Zuluaga et al. 2013 http://adsabs.harvard.edu/abs/2013arXiv1302.5377Z) bisher errechneten Bahndaten liegen recht nahe beieinander (http://en.wikipedia.org/wiki/2013_Russian_meteor_event#cite_note-USGS-41) 

Streufeld

Die Existenz, Größe und Verteilung von möglichen Impaktkratern ist noch völlig ungeklärt. Bisher sind drei Einschlagsstellen bekannt: Zwei gibt es im Gebiet von Tschebarkul und eine weitere in Slatoust. Ein größeres Bruchstück soll ein auffälliges, 8 m großes kreisrundes Eislochs im See Tschebarkul (ca. 1 km vom Zentrum der Stadt Tschebarkul und 80 km von der Stadtmitte von Tscheljabinsk entfernt) erzeugt haben. Geschätzt auf 60 cm im Durchmesser wurde es bei Tauchgängen bisher allerdings nicht entdeckt. Die Fischer wollen den Einschlag von sieben größeren Fragmenten, darunter eines in den See, beobachtet haben. Das Eis des Sees ist 2013 nicht mehr als 30 cm dick. Der Einschlag des Fragments soll das Wasser des Sees um 3-4 m hoch gedrückt haben.

Eine zweite Einschlagstelle solle es bei Slatoust, einer Stadt 112 Kilometer nordwestlich der Stadtmitte von Tscheljabinsk, geben.

Die Ausdehnung des Streufeldes von Bruchstücken (Meteoriten) mag derzeit (26.2.13) auf die Größenordnung 100 km geschätzt werden, was sich auf die genannten 80 und 112 km Entfernung von Tscheljabinsk bezieht.

Vom Airblast betroffen waren Perwomaiski bei Korkino (30 km von Tscheljabinsk), Deputatskiy, Jemanschelinsk (44 km von Tscheljabinsk).

Im Bezirk Etkulskom hat es einen Meteoritenschauer gegeben. Mittlerweile sind auch faustgroße (einige cm) Fragmente mit einer Gesamtmasse von ca. 1 kg an einer Stelle südlich von Tscheljabinsk (vermutlich im Bezirk Etkulskom) gefunden worden.

Ob andere Boliden, die in der nördlichen Hemisphäre um den 15.2.13 gesehen wurden in einem Zusammenhang mit dem Tschebarkul Superboliden stehen, ist noch ungeprüft.

Reste

Das im Gebiet des Sees Tschebarkul gefundene Material ist wissenschaftlich analysiert worden. Örtliche Geologen (Viktor Grokhovsky, Urals Federal University) fanden zunächst 53 kleine Fragmente (0,5 – 1 cm) des Objekts, die eine deutliche Schmelzrinde aufweisen in der Region Tscheljabinsk. Der extraterrestrische Ursprung dieser Stücke wurde bestätigt. Die Fragmente gehören zu den Steinmeteoriten (regulärer Chondrit), mit mehr als 10% Eisen- und Nickelanteil. Sie enthalten zudem (neuer Stand 2.3.2013) als Hauptminerale Olivin (Mg, Fe) 2SiO4 und Orthopyroxen (Mg, Fe)2Si2O6, sowie in kleineren Mengen Troilit FeS, Heazlewoodit Ni3S2, Kamazit und Tänit Ni, Fe, Chromit (Fe, Mg)Cr2O4, Klinopyroxen CaMgSi2O6, Plagioklas (Ca, Na)Al2Si2O8 und ein Glas.

Südlich von Tscheljabinsk, vermutlich im Bezirk Etkulskom, in dem es einen Meteoritenschauer gab, hat man mittlerweile auch mehr als 100 faustgroße (einige cm) Fragmente mit einer Gesamtmasse von ca. 1 kg gefunden. Am 25.2.13 wurde auch ein 1,8 kg schweres Stück bei Jemanschelinsk und der Siedlung Тrawniki entdeckt. Die Zusammensetzung der Stücke entspricht derjenigen vom See Tschebarkul.

Bedeutung

Im 20. Jh. wurden die Superboliden von Tunguska, Russland (1908), 10-15 MT TNT, Rio Curuca, Brazilien (1930), 100 KT bis  MT,  Arroyomolinos de León, Spanien (1932), 190 KT beobachtet. Im 21. Jh. gab es Benghazi, Libyen (2009), mit 12 bis 20 KT, Südsulawesi, Indonesien (2009) mit 31-50 KT und nun Tschebarkul, Russland, mit 500 KT.

Tschebarkul 2013 führt in einer geringeren, aber schon recht deutlichen, Weise vor Augen, was sich beim Chiemgau Impakt ereignet haben dürfte. Besonders vergleichbar ist die große Höhe der Fragmentierung, der geringe Eintrittswinkel und die Flugrichtung „scheinbar aus der Sonne kommend“. Diese Aussage erinnert an die Darstellung im Mythos des Phaetons und bestätigt so die genaue Beschreibung, der wohl damalige Augenzeugenberichte zugrunde lagen.

Referenzen und Bildmaterial:

http://ru.wikipedia.org/wiki/%D0%9F%D0%B0%D0%B4%D0% ………..

http://www.rosbalt.ru/federal/2013/03/01/1100626.html

http://en.wikipedia.org/wiki/2013_Russian_meteor_event

http://www.ras.ru/news/shownews.aspx?id=1da2959b-902f-46b2-9f1f-0c62d19740e8#content

http://www.nasa.gov/mission_pages/asteroids/news/asteroid20130215.html

http://www.amsmeteors.org/2013/02/large-daytime-fireball-hits-russia/

http://www.webalice.it/mizar02/articoli/Meteorb.dat

Zuluaga et al. 2013 http://adsabs.harvard.edu/abs/2013arXiv1302.5377Z)

http://en.wikipedia.org/wiki/List_of_meteor_air_bursts

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(*) Im strengen Sinne dürfte es sich bei dem Ereignis nicht um eine Explosion im herkömmlichen Sinn gehandelt haben. Knall und Leuchterscheinung gehören vermutlich nur indirekt zusammen. Der Knall mit der gigantischen Druckwelle ist ein Schockereignis, vergleichbar dem Überschallknall von Flugzeugen, die die „Schallmauer“ durchbrechen. Der Meteor tritt mit einer noch weit höheren kosmischen Geschwindigkeit in die Atmosphäre ein und erzeugt eine kegelförmige Schockfront, die er vor sich „hertreibt“ und die in Russland die enormen Schäden angerichtet hat. Das helle Aufleuchten ist wohl primär eine Folge der extremen Reibungs-Aufheizung des in Bruchstücke zerlegten Meteors, wobei seine Fragmentierung eine Folge des enormen Druckabfalls über dem Körper ist.

Beim Chiemgau-Impakt finden wir noch heute verbreitet spektakuläre geologische Auswirkungen solcher enormen atmosphärischen Schockwellen direkt an den betroffenen Gesteinen. Wir werden das in einem ausführlicheren Artikel mit eindrucksvollen Fotos beschreiben.

Vermutlich sind beim Chiemgau-Impakt zusätzlich auch noch ganz andere Szenarien zu bedenken, wenn es sich beim Impaktor z. B. um einen Kometen gehandelt hat. Bei der Zerlegung von Kometen diskutieren die Wissenschaftler vor allem auch echte Explosionen, was wir ansprechen wollen, wenn noch mehr über den russischen Meteor bekannt geworden ist. Denn nicht auszuschließen ist, dass zusätzliche auch echte Explosionen bei dem Ereignis mitgespielt haben.

Vorerst ist es vielleicht sinnvoll, den Vorgang mit dem etwas neutraleren englischen Begriff des „Airburst“ zu beschreiben.