Streuellipse und Kraterdimensionen

Seit der ursprünglichen Veröffentlichung auf dieser Webseite sind neue Erkenntnisse hinzugekommen:

— Detaillierte SONAR-Echolotmessungen auf dem Chiemsee haben am Boden in grob 30 m Tiefe das Bild eines Doppelkraters mit Ringwall ergeben, der als Astroblem („Sternwunde“) des Chiemgau-Impaktereignisses gedeutet wird. Die Ausmaße betragen etwa 900 m x 500 m, und es wird angenommen, dass der Einschlag des vermuteten Doppelprojektils in den See einen Tsunami getriggert hat, der sich in jungen Sedimenten der stratigraphischen Abfolge um den Chiemsee herum dokumentiert hat (hier ein Artikel zu dem Thema).

Doppelkrater

Tiefenkarte des Chiemsees im Bereich des Doppelkraters nach den SONAR-Messungen.

— Der Hohenwart-Krater (Abb. 6) ist mittlerweile zerstört worden – vermutlich von Gesteins- oder Meteoriten-„Sammlern“.

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Streuellipse und Kraterdimensionen (ursprünglicher Beitrag)

Bis zum gegenwärtigen Zeitpunkt sind durch die Gruppe der Heimatforscher um W. Mayer annähernd 100 Krater identifiziert, vermessen und katalogisiert worden. Das geschah (und wird in der Zukunft so fortgeführt) auf der Grundlage topographischer Kartierung, einer Satellitenbildanalyse, mit systematischer Luftbildaufnahme und zeitraubender Geländeerkundung. Aus dieser Dokumentation ist die Karte der Krater-Streuellipse hervorgegangen, die in Abb. 1 gezeigt wird. Die Größe der Ellipse wird durch eine große Achse der Länge ca. 58 km und eine kleine Achse der Länge ca. 27 km gegeben. Die Fläche des Streufeldes überdeckt eine Fläche von etwa 1200 km² zwischen 47,8° bis 48,4° N und 12,3 bis 13,0° E, und die Krater liegen in einer Höhe zwischen 362 und 560 m über NN.

Abb. 1. Die Streuellipse für das Kraterfeld im Chiemgau und in der Inn-Salzach-Region.

Der Grad der Erhaltung der Krater ist ganz unterschiedlich, was insbesondere mit ihrer Lage auf landwirtschaftlich genutzten Flächen oder in Wäldern zusammenhängt. Auf Ackerland sind viele Krater, die noch auf älteren topographischen Karten verzeichnet sind, mittlerweile eingeebnet. Aber trotz der Einebnung zeichnen sie sich häufig auf Satellitenbildern oder auf Luftbildern ab (Abb.2). Andererseits befinden sich wahrscheinlich, wenn nicht mit Sicherheit, noch viele gut erhaltene Krater versteckt in Wäldern, die große Flächen der Streuellipse einnehmen. Diese unentdeckten Krater sowie die vollständig und nicht mehr erkennbar zerstörten Krater mögen vielleicht 40 – 50 % aller ursprünglich vorhandenen Krater ausmachen.

Abb. 2. Eingeebnete Krater (Pfeile) auf dem Luftbild (oben) und im Satellitenbild (unten).

Die Durchmesser der dokumentierten Krater bewegen sich zwischen 3 m und einigen 100 m (Abb. 3-8). Einige von ihnen sind immer mit Wasser gefüllt. Eine große Zahl von Kratern und Eintiefungen besitzen Durchmesser von weniger als 3 m. Sie wurden bisher nicht dokumentiert, und in vielen Fällen mag ihr meteoritischer Ursprung ohne nähere Untersuchung in Frage gestellt werden.

Abb. 3. Dieser Krater bei Murshall (in der Nähe von Tyrlaching) ist permanent mit Wasser gefüllt. Er hat einen Durchmesser von 16 m und zeigt einen deutlichen Ringwall.

Abb. 4. Dieser Krater (Pfeil) bei Marktl (beim Weiler Dornitzen) in der Uferböschung des Inns hat einen Durchmesser von 55 m, ist aber nur noch etwa zur Hälfte erhalten. Ursprünglich gab es einen Wall, der aber durch Pflügen eingeebnet wurde. Im Zentrum des Kraters wurden die eigenartigen Eisensilizid-Phasen gefunden. Luftbild: Gerhard Benske.

Abb. 5. Der Krater beim Weiler Bergham (in der Nähe von Tyrlaching) hat heute einen Durchmesser von etwa 150 m, eine Tiefe von 15 m und einen kleinen Wall. Vor 1960 gab es – wie auf dem historischen Foto zu sehen – einen See in der Kraterstruktur. Sie wurde später entwässert und mit Schotter und Boden aufgefüllt. Ursprünglich war der Kraterwall mindestens 2 m hoch. Der Hang war steil und der See tief genug (über 25 m), daß Kinder und Erwachsene gefahrlos kopfüber vom Rand des Kraters in das Wasser springen konnten. Foto: Mathias Wurm, Landwirt in Bergham.

Abb. 6. Der Hohenwart-Krater mit einem Durchmesser von 6 m und einem deutlich entwickelten Ringwall.

Abb. 7. Der Einsiedeleiche-Krater ist 15 m tief.

Das andere Ende der Skala zeigt Krater mit Durchmessern von 200 m oder mehr. Gegenwärtig gilt der Tüttensee bei Traunstein in der Nähe der Ortschaft Grabenstätt am Chiemsee als der größte der Krater (Abb. 8). Der Tüttensee ist von einem mehr oder weniger durchgehenden, etwa 8 m hohen Ringwall (teilweise künstlich aufgebrochen) umgeben und hat einen maximalen Durchmesser von etwa 400 m. Mit Bezug auf die Abmessungen des Ringwalls mag der Tüttensee-Krater einen Durchmesser von grob 500 m haben. Wie Abb.8 zeigt, ist die Form alles andere als rund, aber teilweise zeichnet die Uferlinie exakt einen Kreis nach. Deshalb meinen wir, daß der Tüttensee durch den Impakt eines zerbrochenen Projektils entstand, ähnlich den unregelmäßig geformten Kratern der Kallijarvi- und Henbury-Kraterfelder.

Abb. 8. Der gegenwärtig größte Krater ist der Tüttensee nahe der Ortschaft Grabenstätt unweit des Chiemsees. Der größte Durchmesser der Wasserfläche liegt bei knapp 400 m. Ein ursprünglich geschlossener, heute an einigen Stellen aufgebrochener Ringwall hat eine Höhe von 8 m. Die angenommene Tiefe des Sees schwankt zwischen 17 m (offizielles Datenblatt) und 70 m (angeblich nach Lotungen von Tauchern). Zwischen Wasser- und Kratertiefe mag eine beträchtliche Differenz bestehen, wenn sich über dem Boden mächtige Schichten organischen Materials befinden. Luftbild: Gerhard Benske

In der Vergangenheit wurde der Tüttensee allgemein als ein Toteisloch, als ein Relikt aus der Eiszeit angesehen. Diese Deutung steht nach den neuen Untersuchungen zu einer Impaktgenese nunmehr auf schwachen Füßen und hat zu einer heftigen Diskussion geführt. Deshalb widmen wir dem Tüttensee auf der Internetseite einen eigenen ausführlicheren Abschnitt.

Im Zusammenhang mit der Entstehung des Tüttensees drängt sich immer mehr die Vorstellung auf, daß größere Bruchstücke des Impaktors in den damals wohl auch ausgedehnteren Chiemsee gestürzt sind. Sonarmessungen auf dem See haben große kreisförmige Eintiefungen sichtbar gemacht, die zum Teil von flachen Aufwölbungen ringförmig umgeben sind.

Bei der Frage von Kraterstrukturen im Chiemsee wird angemerkt, daß es bei der sehr großen Anzahl der bisher dokumentierten Objekte unmöglich ist, für jede einzelne Struktur die meteoritische Genese eindeutig zu belegen. Und wie eine vertiefte Erforschung des Phänomens bei weiterer Geländearbeit mit Sicherheit weitere Einschlagkrater zutage fördern wird, ist mit gleicher Sicherheit anzunehmen, daß für manche der bisher dokumentierten Krater die Annahme eines Impaktursprunges aufgegeben werden muß

In Abb. 1 wird es deutlich, daß der mittlere Durchmesser der Krater vom nördlichen Ende der Streuellipse zum südlichen Ende hin größer wird. Das ist bemerkenswert ähnlich zu anderen Meteoritenkrater-Streufeldern (Morasko, Henbury, Kaalijarvi, Sikhote Alin), die eine vergleichbare Verteilung aufweisen (Abb.9). Eine solche Verteilung wird allgemein in Verbindung mit einem atmosphärischen Aufbrechen des Impaktors gesehen, mit der Folge einer groben Sortierung der Bruchstücke und damit einer groben Sortierung der Krater nach ihrer Größe.

Abb. 9. Streuellipsen von Meteoriten-Kraterfeldern. Verändert aus Krinov (1963) (Henbury, Kaalijarvi) und Hodge (1994) (Morasko, Sikhote Alin).

Die Tiefe der Krater bewegt sich zwischen 0,4 m (für die kleinsten Krater mit 3 m Durchmesser) und vermutlich einigen Dekametern für den größten der Krater, den Tüttensee. In Abb. 10 sind die Tiefen und Durchmesser für 46 vollständig erhaltene Krater eingezeichnet, und man erkennt einen generellen Anstieg der Tiefen mit zunehmendem Durchmesser. Im Mittel ergibt sich ein Durchmesser-Tiefen-Verhältnis von r = 6,7.

Abb. 10. Durchmesser und Tiefen für 46 vollständig erhaltene Krater des Chiemgau-Streufeldes. Im Mittel ergibt sich ein Durchmesser-Tiefen-Verhältnis von 6,7 (gerade Linie).