Astronomische Bezüge

 Seit der ursprünglichen Veröffentlichung auf dieser Webseite sind neue Erkenntnisse hinzugekommen:

— In den letzten Jahren haben die Ergebisse der Stardust-Mission und neue aufregende Weltraum-Teleskopaufnahmen Astronomen und Experten der NASA-Raumfahrtmissionen dazu geführt, von notwendigen Paradigmenwechseln zu sprechen, insbesondere mit Blick auf die Herkunft und die Zusammensetzung von Kometen. Im Licht dieser spannenden Entwicklung ist auch die Natur des Chiemgau-Impaktors zu sehen, von dem nur soviel angenommen werden kann, dass es sich vermutlich um ein sehr locker gebundenes Objekt gehandelt hat, das dieses ungewöhnlich große Kraterstreufeld erzeugt hat. Sinngemäß äußern sich NASA-Experten etwa so:  „Da draußen“ kann ALLES herumschwirren. 

Im Zuge dieser Entwicklung ist es bemerkenswert festzuhalten, dass vor nicht langer Zeit (2006) ein bekannter Planetologe mit Blick auf den Chiemgau-Impakt formulierte: „Über Kometen wissen wir ALLES.“

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Astronomische Bezüge

Chiemgau-Impakt: Was kam da wie herunter?

Aus der Form und Lage des Streufeldes sowie der Größe und Verteilung der Krater in ihm, lassen sich grob gewisse Hinweise auf die Größe, Beschaffenheit, Dichte und Geschwindigkeit des in die Erdatmosphäre eindringenden Himmelskörpers, aber auch auf seine vermutliche Flugbahn lesen.

Zunächst fällt eine gewisse „Sortierung“ der bisher identifizierten Krater (Durchmesser: 3 bis ca. 500 m, Tiefe: 0,4 m bis ca. 40 (70?) m) in einem elliptischen Feld von ca. 58 x 27 km (ca. 1200 km² zwischen 47,8° – 48,4° N und 12,3° – 13,0° O) auf: Die kleinen befinden sich überwiegend im nördlichen, die großen häufen sich im südlichen Bereich des Streufelds.

Abb. 1. Das Auseinanderbrechen des in die Erdatmosphäre eindringenden Himmelskörpers in Kaskaden unterschiedlich großer Fragmente und die Erzeugung eines elliptischen Streufelds mit Verteilung der Krater nach Größe zunehmend entlang der Richtung der Fallbewegung.

Eine derartige Verteilung der Kratergrößen folgt aus der unterschiedlichen Bewegungsenergie (kinetische Energie), die jeweils die Objekte eines Schwarms oder die Bruchstücke eines einzigen Körpers je nach ihrer Masse bei ursprünglich gleicher Eintrittsgeschwindigkeit besitzen. Aufgrund ihres größeren Moments legen die massereicheren Fragmente einen längeren Weg in der Atmosphäre zurück, bevor sie durch die Luftreibung so abgebremst werden, dass sie in ca. 30° Neigung zur Senkrechten fallen. Masseärmere Bruchstücke hingegen erreichen den Punkt größter Abbremsung früher und beschreiben dann eine steilere Bahn, die in ca. 20° zur Vertikalen verläuft. Die Fragmentation der Brocken kann je nach ihrer Beschaffenheit (Dichte, Festigkeit, Form, Material) mehrfach explosionsartig erfolgen. Sie führt zu einer Kaskade herabfallenden Bruchstücke, deren unterschiedliche Fallkurven entlang und seitlich zur Flugbahn die beobachtete Größenverteilung der Krater auf dem Boden ergibt. Auch die Druckwellen, die von den mit großer Geschwindigkeit im Schwarm fliegenden Objekten durch die Kompression der Luft ausgelöst werden tragen zu seitlichem Abtrieb bei.

So entsteht ein elliptisches Streufeld, dessen Lage der langen Achse und Verteilung der Krater die Flugrichtung der Bewegung des Schwarms abbildet. Im Falle des Chiemgau-Impaktes – nach der bisher bekannten Verteilung der Krater – muss das in die Lufthülle eindringende Objekt aus Richtung Nordosten nach Südwesten, in einem Winkel (Azimut) von ca. 43° zur Nordrichtung geflogen sein.

Mit Hilfe verschiedener Rechenmodelle kann die Frage nach Größe, Beschaffenheit und Geschwindigkeit des ursprünglichen Himmelskörpers (Kometenkern, Bruchstück eines Planetoiden), unter Annahme bestimmter Rahmenbedingungen, grob im Sinne einer Abschätzung und Eingrenzung beantwortet werden: Es müsste ein ca. 1100 m großes Objekt sehr geringer Dichte (< 1,3 g/cm³) mit einer Geschwindigkeit von ca. 12 km/s unter einem sehr flachen Winkel von etwa 7° in die Lufthülle der Erde eingedrungen sein. In ein Höhe von etwa 70 km brach es auseinander, und eine fortgesetzte Fragmentation begann. Dieses Szenario gilt für ein Meteoroid, das noch intakt war, als es die dichteren Schichten der Atmosphäre erreichte.

Das Objekt könnte allerdings auch bereits im Weltall durch die Gezeitenkräfte der Erde auf einer Höhe von ca. 22 200 km (Roche’sche Grenze bei 1,3 g/cm³ Dichte des Objekts) in einen Schwarm von Bruchstücken zerrissen worden sein. Diese wären dann, wie an einer Perlschnur aufgereiht, in die Atmosphäre gestürzt und dort in Kaskaden weiter fragmentiert – ein „multipler Impakt“.

Abb. 2. Komet Shoemaker-Levy 9 (D1993/F2) aufgenommen vom Hubble Space Telescope (HST), Wide Field Planetary Camera 2. Perlschnur der Fragmente (oben) und Details nahe dem hellsten Bruchstück (unten). Copyright: Dr. H.A. Weaver & T.E. Smith STScI (STScI-PRC1994-13), NASA.

Ein Beispiel dafür gab der Komet P/Shoemaker-Levy 9 (D1993/F2) im Juli 1994. 21 Fragmente des ca. 10 km großen Himmelskörpers fielen nacheinander (16.7. bis 22.7.) in die Lufthülle des Planeten Jupiter und verursachten dort riesige Turbulenzen, die von der Erde aus auch in kleineren Teleskopen sichtbar waren. Es wäre denkbar, dass das Meteoroid, das den Chiemgau-Impakt verursacht hat im erdnahen Weltraum in mehrere größere Fragmente zerrissen wurde. Diese erzeugten dann in einem größeren Areal zwischen Altötting und den Alpen südlich des Chiemsees verschiedene zusammengehörende Streufelder. Dafür spräche die ungewöhnliche Breite der Verteilungsellipse von ca. 27 km: Das rechnerische Modell führt auf ein deutlich schmaleres Streufeld bei einer Länge von ca. 58 km. Während mehrere „dicke Brocken“ (> 100 m) in einem kurzen zeitlichen Abstand herabstürzten, drehte sich die Erde unter ihren Flugbahnen ein wenig weiter. Dies führt zu einem von Osten nach Westen gerichteten Versatz und damit zu einer Aufweitung des Kraterstreufelds. Der Winkel und die Geschwindigkeit der Objekte beim Eintritt mögen im Falle eines multiplen Impaktes etwas höher gelegen haben, da die kleineren Teilstreufelder durch schneller fliegende und steiler einstürzende Meteoroide gedeutet werden können.

Abb. 3. Die Bewegung von in die Erdatmosphäre eindringenden Himmelskörpern, z.B. Meteoroiden, oder sehr großen Bruchstücken von Kometen/Planetoiden relativ zur Richtung der Erdbewegung. Die Objekte „holen die Erde ein“ und fliegen hinter ihr her kommend, langsam heran (prograd) oder sie treffen in schnellem Flug frontal auf die Erde (retrograd). In Abhängigkeit von der prograden oder retrograden Bewegung sind sie bevorzugt zwischen 24 und 12 Uhr oder 12 und 24 Uhr wahrzunehmen.

Damit ein Himmelskörper, z.B. ein Komet oder eine interstellare Raumsonde, das Sonnensystem verlässt, muss er eine Fluchtgeschwindigkeit von mehr als 42 km/s (bezogen auf die Sonne; heliozentrische Geschwindigkeit) erreichen.

Meteoroide können „schell“ oder „langsam“ mit Geschwindigkeiten zwischen 72 und 12 km/s in die irdische Lufthülle eindringen, je nachdem ob sie in der Bahn der Erde (30 km/s) um die Sonne „von vorne“ (42 km/s + 30 km/s = 72 km/s) oder „von hinten“ (42 km/s – 30 km/s = 12 km/s) in die irdische Atmosphäre stürzen.

Da im Falle des Chiemgau-Impaktes ein vergleichsweise „langsames“ Objekt auf die Erde stürzte, muss es jedoch mit einer Geschwindigkeit von ca. 12 km/s (oder ein wenig höher) in die Lufthülle eingetreten ist, dann sollte dies zwischen Mittag und Mitternacht passiert sein: Das Objekt flog „langsam“ in der Richtung der Erdbewegung (prograd) um die Sonne und trat gewissermaßen „von hinten“ kommend in die Atmosphäre ein. Zu welchem Datum im Jahr der Impakt stattfand, kann derzeit noch nicht gesagt werden.

Beim derzeitigen Stand der Forschung, ist es noch nicht möglich, das Impakt-Geschehen genauer zu beschreiben. Dies hängt nicht zuletzt von vielen Einzeluntersuchungen im Rahmen der Feldforschungen ab.

Woher stammt der Himmelskörper, der das Kraterfeld erzeugt hat

(Abb. 4 – 9)?

Abb. 4. Grafische Darstellung der verschiedenen Typen von Meteoroiden, Meteoren und erzeugter Krater(-felder).

Woher könnte der Himmelskörper stammen, der das Kraterfeld erzeugt hat? Die Geschwindigkeit, mit der sich das Objekt vor dem Eintritt in die irdische Lufthülle bewegt hat, gibt einen Fingerzeig: Ein so „langsamer“, prograd um die Sonne umlaufender Brocken (12-14 km/s) müsste eher aus dem inneren Sonnensystem stammen, d.h. z.B. aus dem zwischen Mars und Jupiter befindlichen Planetoidengürtel oder einem erdnahen Orbit. Es könnte sich dann entweder um ein Bruchstück eines Planetoiden von sehr geringer Dichte (< 1,3 g/cm³) oder um einen nicht mehr aktiven Kometenkern (kurzperiodischer Komet) ähnlich geringer Dichte handeln. Der Himmelskörper mag auch aus dem Kuiper-Belt oder der Oortschen Kometenwolke stammen und durch die gravitative Wirkung der großen Planeten, vor allem Jupiter und Saturn, auf eine Bahn in das innere Sonnensystem gezwungen worden sein. Beispiele dafür sind die Kometen Lexell (D/1770 L1) im Jahr 1776, oder im Jahr 1994 P/ Shoemaker-Levy 9 (D1993/F2).

Abb. 5. Der außergewöhnlich dunkle Planetoid (253) Mathilde (Albedo 0,04; Typ C-Asteroid) ist 66 × 48 × 46 km groß und hat eine äußerst geringe Dichte von unter 1,3 g/ cm³. Er dürfe wohl kein kompakter Körper sein, sondern eher eine „zusammengebackene“ Ansammlung von Trümmerschutt, die aus Kollisionen mit anderen Planetoiden oder Meteoroiden erzeugt wurde. Das Bild zeigt ein Areal von 59 km x 47 km. Der Krater im Vordergrund besitzt einen Durchmesser von 10 km. (253) Mathilde umkreist die Sonne in 4,31 Jahren (Entfernung ca. 398 Millionen km) und dreht sich in 17d 9h 30m einmal um seine Achse. Ein Bruchstück eines solchen Himmelskörpers könnte möglicherweise für den Chiemgau-Impakt verantwortlich sein. Copyright: NEAR Spacecraft Team, JHUAPL, NASA

Abb. 6. Komet Machholz C/2004 Q2 nahe dem Offenen Sternhaufen der Pleiaden (M 45) im Sternbild Stier. Aufnahme: Thorsten Böckl, Astrogilde Fürstenfeldbruck & Gilching, 8.1.2005, Sudlfeld, Canon EOS 20 D, Nikon 300 mm f 1:2,8, Bel. 3 x 120 s, ASA 800

Abb. 7. Der sehr dunkle Kern (Nukleus) des Kometen Halley (16 km x 7.5 km x 8 km), aufgenommen mit der Halley Multicolor Kamera bei der ESA Mission Giotto, 13.3.1986 aus einer Entfernung von 20160 km. Die Dichte des Nukleus liegt bei 0.1 g/cm-3. Die Bereiche, in denen eine Ausgasung stattfindet, sind gut erkennbar. Etwa 10% des Kometenkerns waren aktiv. Der Komet umrundet die Sonne alle 76 bis 79,3 Jahre. Copyright: ESA (Giotto, HMC 01814).

Abb. 8. 5.8.2000: Der Komet Linear C/1999 S4) zerbricht in einen Schwarm von „Kometesimalen“, kleinsten Brocken (bis zu 30 m Durchmesser). Etwa 25-30 m hatte das Fragment, das den Tüttensee-Krater erzeugt hat. Copyright: NASA, Harold Weaver (the Johns Hopkins University), HST Comet LINEAR Investigation Team, University of Hawaii.

Abb. 9. Kometen können durch die Anziehungskraft eines großen Planeten von ihrer ursprünglichen Bahn auf eine kurzperiodische oder einen Impakt-Kurs zu einem Planeten, Planetoiden oder Mond gelenkt werden. So werden Himmelskörper aus einer weit entfernten Region des Sonnensystems, die einen primitiveren Aufbau besitzen, in erdnahe Bereiche „verfrachtet“.

Zwischendrin: ein kleines Glossar

Planetoid (auch Asteroid): Ein interplanetarer Himmelskörper, der sich auf einer kreis- oder ellipsenförmigen Bahn um die Sonne bewegt. Die Größen reichen von mehreren Metern bis (derzeit) ca. 1800 km (Planetoid Orcus, 2004 DW). Überwiegend (ca. 90 %) der Asteroiden befinden sich in einem Planetoidengürtel zwischen Mars und Jupiter. Daneben gibt es Planetoiden innerhalb der Marsbahn (Erdbahnkreuzer oder NEO‘s, d.h. Near Earth Objects), zwischen Saturn und Uranus (Zentauren), jenseits der Neptun- und Plutobahn (im Kuiper-Gürtel). Einige Planetoiden werden selbst wiederum von kleineren Körpern umrundet – Planetoidenmonde.

Komet Ein interplanetarer Himmelskörper, bestehend aus einem festen Kern (Nukleus) und einem Gas- und Staubschweif, der auf einer sehr exzentrischen, elliptischen Bahn (mit meist hoher Neigung zur Ekliptik) der Sonne so nahe kommt, dass er durch Aufheizung die oberen Schichten des Nukleus (gefrorenes Kohlenmono- und -dioxid, Methan, Wassereis) gasförmig freisetzt und mit feinen Staubpartikeln vermischt als Hülle (Koma) und Schweif ausbildet. Der Kern eines Kometen kann zwischen 1-100 km groß sein. Es gibt aber sicher auch kleinere Bruchstücke kometarischen Materials. Die Koma, besteht vorwiegend aus Molekülen von Kohlenstoff, Sauerstoff, Wasserstoff und Stickstoff. Sie besitzt einen Durchmesser von durchschnittlich 50000 bis 150000 km, in Einzelfällen auch bis über 1 Million km. Der Sonnenwind entreißt Gas- und Staubpartikel der Koma und erzeugt so einen Kometenschweif, der aus einem Gas- und einem Staubteil besteht. Der Gasschweif erreicht eine Länge zwischen 10 und über 100 Millionen km, manchmal bis zu 300 Millionen km. In ihm können die Partikel Geschwindigkeiten bis zu 500 km/s erreichen. Kometen sind Überreste der Entstehung unseres Planetensystems. Hunderte von Milliarden Kometenkerne sind „schlafend“, d.h. tiefgefroren und ohne Schweif, in der Oortschen Wolke verteilt, die in 40000-150000facher Entfernung von der Erde das Planetensystem umgibt. Durch gravitative Störungen der Oortschen Wolke (z.B. Vorbeibewegung des Sonnensystems an anderen Sternen) können gelegentlich einzelne diese Kometenkerne oder ganze Schwärme auf Bahnen gelenkt werden, die sie in das innere Planetensystem und Sonnennähe bringen. Aus der Oortschen Wolke scheinen sich vor allem die langperiodischen Kometen mit Bahnen über 200 Jahren Umlaufszeit zu speisen. Inaktive Kometenkerne können auch in einer Art zweitem Planetoidengürtel – dem Kuiper-Gürtel – in 30 -70facher Entfernung von der Erde, hinter der Bahn des Planeten Pluto, verborgen sein. Sie dürften unter anderem eine Quelle für die kurzperiodischen Kometen mit Umlaufzeiten unter 200 Jahren bilden.

Meteoroid (auch Meteoride): Ein kleiner interplanetarer Körper, der aus gefrorenen Gasen (z.B. Methan) und Wassereis, Gestein sowie Metallverbindungen besteht. Er kann nur wenig größer sein als einzelne Moleküle oder ein Staubteilchen (0,1 mm). Dann handelt es sich um einen Mikrometeoroiden. Aber auch mehrere Meter große Brocken gehören zu diesen Objekten. Sie sind in der Regel Bruchstücke von Planetoiden des Asteroidengürtels zwischen Mars und Jupiter, kurzperiodischen Kometen, die sich im inneren Bereich des Planetensystems bewegen, oder langperiodischen Kometen, die von der Oortschen Kometenwolke im äußersten Bereich des Sonnensystem kommen und bei ihrem Lauf um die Sonne auch in Erdnähe kommen. In einigen Fällen stammen sie auch vom Mond oder Mars.

Meteor: Die Leuchterscheinung und der Schweif, gelegentlich durch Geräuschphänomene begleitet, die infolge der Ionisation der umgebenden Luft auftritt, wenn ein größerer Meteoroid (ab 1 g) in die Atmosphäre eines Planeten (oder Mondes) eindringt. Ist das Aufblitzen heller als -4m (etwa scheinbare Helligkeit des Planeten Venus), nennt man ein solches Meteor auch Bolide („Feuerkugel“). Die Höhe des erstmaligen Aufleuchtens liegt meist zwischen 300 km bis 100 km, der Punkt des Verlöschens bei ca. 80 bis 30 km über dem Erdboden, abhängig von der Anfangsgröße des Meteoroids. Die Meteoroide können mit geozentrischen Geschwindigkeiten zwischen ca. 72 km/h und 12 km/s in die Erdatmosphäre eintreten.

Meteorit: Erreicht ein Reststück des Meteoroid nach Passage der Atmosphäre den Boden, wird es Meteorit genannt. Es zeigt meist deutliche Spuren einer Materialverformung durch Druck und Wärme. Täglich fallen ca. 40 t meteoritischen Materials auf die Erde. Meistens handelt es sich um 0,1 mm große Mikrometeoroiden, die ohne Leuchterscheinung die Lufthülle durchlaufen. Etwa 20000 Meteoroide mit einer Masse größer als 0,1 kg erreichen pro Jahr den Erdboden, die meisten von ihnen sind jedoch kaum größer als kleine Kieselsteine.

Gupeiit, Xifengit und Titankarbid: Ist das Material präsolar?

Die bisher bekannten Meteoritenkrater-Streufelder auf der Erde sind mit „üblichem Meteoritenmaterial“ verknüpft, das je nach Typ, Eisen, Nickel, Kohlenstoff und andere Elemente in einem bestimmten Mischungsverhältnis enthält. Dies ist so im Kraterfeld von Altötting bis hin zum Chiemsee bislang nicht nachzuweisen. Die bisher vorliegenden mineralogischen Ergebnisse belegen statt dessen Ferrosilizide verschiedener Zusammensetzung – vor allem Ferromonosilizide, aber auch die auf der Erde in der Natur extrem selten vorkommenden Minerale Gupeiit (Fe3Si) und Xifengit (Fe5Si3) – zusammen mit Titancarbid (TiC), sowie anderen Stoffen, deren Auswertung noch nicht abgeschlossen ist. Da die großräumige Verteilung dieses Materials durch den Menschen in wenigstens 20 cm Tiefe ausgeschlossen werden kann, müsste es entweder während des Impaktes aus irdischem Gestein sekundär erzeugt worden sein und/oder auch teilweise vom Himmelskörper selbst stammten.

Einige wenige Meteorite enthalten jedoch Ferrosilizide: Im Jahr 2001 konnte nahe Oman ein Gesteinsbrocken (Dhofar 280) aufgefunden werden, dessen chemische Zusammensetzung einen Ursprung vom Mond belegt. Ein Jahr später zeigten Analysen, dass er verschiedene Ferrosilizide (FeSi, Fe2Si, FeSi2) enthält, die durch einen besonderen Entstehungsprozeß auf dem Mond erzeugt wurden, darunter auch ein neues Mineral Hapkeit (Fe2Si). Gupeiit (Fe3Si) selbst ist im Meteoriten FRO 90036 enthalten, der aus den Frontier Mountains in der Antarktis stammt.

In einem anderen Einzelfund bilden Gupeiit und Xifengit die wesentlichen Bestandteile in einem Meteoriten, der 1984 in den Yanshan Bergen der Provinz Hebei, China entdeckte wurde. Auffällig ist hier, wie auch im niederbayerischen Fundmaterial, der geringe Prozentsatz an Nickel. Der zentrale Bereich der kleinen Kugeln (Spherulen) enthält wesentlich Gupeiit (Fe3Si) mit kubischem und Xifengit (Fe5Si3) mit hexagonalem Kristallgitter. Bemerkenswert ist, dass Hongquit, das zunächst als TiO angegeben wurde, aber nach neuen Befunden tatsächlich TiC darstellt, zusammen mit Gupeiit im Kern der Spherulen zu finden ist. Die mineralogische Zusammensetzung dieses Meteoriten ähnelt sehr dem Material, das im bayerischen Kraterstreufeld aufgefunden wurde.

Wenn die für die überwiegende Mehrzahl der Meteorite unübliche, „exotische“ Materie, die sich im Bereich zwischen Altötting, dem Chiemsee und der ersten Voralpenkette verbreitet findet tatsächlich vom Meteoroid stammt, könnte das ein Fingerzeig auf die eigentliche Herkunft des Himmelskörpers sein: Es könnte sich dabei um Stoffe handeln, die sich in jenem Staub- und Gasnebel (Abb. 10) angesammelt hatten, aus dem sich vor etwa 4,6 Milliarden Jahren die Sonne und das Planetensystem (Abb. 11) herausgebildet hatten – präsolare Materie.

Abb. 10. Staub- und Gasnebel, hier der Trifid-Nebel (M 20) im Sternbild Schütze, 9000 Lichtjahre entfernt, sind die Geburtstätten von Sternen- und Planetensystemen. Copyright: NASA, Jeff Hester (Arizona State University), StScI-1999-42.

Abb. 11. Planetensysteme in Entstehung im Orion-Nebel (M42), Sternbild Orion. Entfernung ca. 1500 Lichtjahre. Collage aus Bildern des Hubble Space Teleskops. Copyright: John Bally, Dave Devine, and Ralph Sutherland (CITA).

Abb. 12. Die „Reste“ von Sternen in den letzten Stadien ihrer Entwicklung, z.B. Post-AGB-Sterne, Novae und Supernovae, werden als Hüllenmaterial abgestoßen und bilden das Ausgangsmaterial für neue Sterne und Planetensysteme. In den Schalen werden neben anderen Elementen und Molekülen unter anderem Titancarbid, Mikrodiamanten, Eisensilizide erzeugt, Material, das auch im Chiemgau-Kraterstreufeld vorhanden ist. Copyright: NASA, ESA, R. Sankrit und W. Blair (Johns Hopkins University), STScI-PRC04-29b.

Abb. 13. Im Reflektionsnebel NGC 7023 („Iris-Nebel“ im Sternbild Kepheus) wurde 2002 ein Typ eines Ferrosilizids, alpha- FeSi2, nachgewiesen. Der Gas- und Staubnebel umgibt einen Stern, der sich in den Anfangsstadien seiner Entwicklung befindet. Es scheint auch im Spektrum der Hülle um den Post-AGB-Stern AFGL 4106 (ein Doppelstern) Hinweise auf Eisensilizide (FeSi) zu geben. Copyright: Jim Misti und Robert Gendler, 2004.

Dazu: Neuere und neueste Forschungen

Nach neueren Forschungen können metallisches Eisen (alpha-Fe) sowie Ferromonosilizide (FeSi) zusammen mit Titancarbid (TiC) in sehr dichten Staubhüllen entstehen, die Sterne mit einer Masse von mehr als acht Sonnenmassen – sogenannte AGB-Sterne (Asymptotic Giant Branch) – in der Endphase ihrer Entwicklung durch den von ihnen ausgehenden Materiestrom („Sternwind“) um sich herum bilden. Tatsächlich hat man auch im Gas- und Staubnebel NGC 7023 (Iris-Nebel) kleinste Partikel eines Eisensilizids, α-FeSi2, nachweisen können. Das heißt, dass Ferrosilizide ein Bestandteil der interstellaren Materie sind. Im Murchison-Meteoriten (Murchison, Victoria, Australien, 1962) wurden zudem Kügelchen aus Graphit (eine Form des Kohlenstoffs) entdeckt, die metallisches Eisen angelagert an Titankarbid (TiC) enthalten. Es wird vermutet, dass die winzigen Staubkörner vom Ausbruch einer Supernova stammen. Einst hatte ihr Material zusammen mit den Hüllenresten anderer Sterne sowie Wasserstoff und Helium in Form eines Gas- und Staubnebels den Stoff für die Bildung der Sonne und des Planetensystem bereitgestellt. So könnte der ungewöhnliche Stoff, der sich im bayerischen Kraterstreufeld Altötting/Chiemgau in Kleinstmengen fein verteilt findet, möglicherweise „präsolar“ sein, das heißt, es würde sich dann um Urmaterie der Geburtsstätte des Sonnensystems handeln.

Forschungen von Hoffmann et al. (2005), Rösler et al. (2005) und mündliche Mitteilung von B. Raeymaekers, November 2005, belegen mono- und polykristalline Nanondiamanten, eingeschlossen in millimetergroße Kohlenstoff-Spherulen, die sich im südostbayerischen Krater-Streufeld, aber auch über Europa verteilt finden. Die Zusammensetzung zeigt sehr hohe Prozentsätze an Kohlenstoff und beträchtliche Mengen an Sauerstoff.

Materialien ganz ähnlicher Elementverteilung hat CIRT auch an anderen Stellen im Kraterfeld nachgewiesen. Im Zusammenhang mit den Funden der Eisensilizide treten regelmäßig schwarze, mattglänzende, spröde Partikel (Größe bis zu 1 cm, meist sehr viel geringer) auf, die praktisch nur aus Kohlenstoff und Sauerstoff bestehen, letzteres bis zu Gehalten von 20 %.

Auch wurden Strukturen entdeckt die Fullerenen ähneln. Hoffmann et al. (2005) favorisieren einen Ursprung des Materials aus einem Impakt-Geschehen auf der Grundlage extraterrestrischen Kohlenstoffmaterials. Dabei könnten die Stoffe primär vom extraterrestrischen Objekt stammen (Ausgasungsprozesse und Rekondensation) oder sekundär bei der Passage des Impaktors durch die Atmosphäre (Boudouard-Reaktion in der Schockfront) gebildet worden sein. In Schmelzkrusten von Gesteinen aus einem 20 m-Krater haben Rösler et al. (2005) wiederum die Eisensilizide (Gupeiit / Xifengit Fe3Si und Fe5Si3) aber auch Nanodiamanten (Hoffmann et al., 2005) nachgewiesen.

CIRT konnte im Oktober 2005 darüber hinaus in unmittelbarer Nachbarschaft zum Tüttensee einen exotischen Horizont entdecken, der auf ca. 80 cm Tiefe zwischen Schotter eingeschlossen liegt. Die als Impakthorizont gedeutete Schicht besteht aus kleinstückig brecciierten Geröllen, Geröllen mit einer graphithaltigen Ummantelung sowie aus extrem korrodierten Geröllen, z.T. nahezu skelettiert. Als Schockeffekte konnten planare Deformationsstrukturen (PDFs) nachgewiesen werden. Eine genauere Beschreibung ist im Menüpunkt Ein Impakthorizont bei Grabenstätt zu finden.

Verschiedene Variationen von Kohlenstoff als Graphit, Nanodiamanten, Fullerene sind als Bestandteile der inter- und zirkumstellaren Materie sowie in Meteoriten (z.B. Allende oder antarktischen Meteoriten) belegt (Bernatowicz et al., Constraints on grain formation around carbon stars from laboratory studies of presolar graphite. The Astrophysical Journal, 631:988–1000; Nittler, L.R., Presolar stardust in meteorites: recent advances and scientific frontiers. Earth and Planetary Science Letters 209, 2003: 259-273; Th. Henning und F. Salama, Carbon in the Universe, Science 282, 1998: 2204-2210; Lodders, K., und Amari, S., Presolar grains from meteorites: Remnants from the early times of the solar system, Chemie der Erde (Geochemistry) 65, 2005: 93-166;Verchovsky et al. , Nanometre-sized diamonds from AGB stars? Lunar and Planetary Science XXXVI (2005), 2285; Huss, G. R., Meteoritic Nanodiamonds: Messengers from the Stars. Elements 1, 2005: 97-100; Harris, et al., Fullerene-like carbon nanostructures in the Allende meteorite, Earth and Planetary Science Letters 183, 2000: 355-359; Becker et al., Higher fullerenes in the Allende meteorite. Nature 400, 1999: 227-228; Rietmeijer, F.J.M: et al. Revisiting C60 Fullerene in carbonaceous chondrites and interplanetary dust particles: HRTEM and RAMAN microspectroscopy. Lunar and Planetary Science XXXVI (2005), 1225; Akai et al., Nano to micro minerals/materials in Antarctic carbonaceous chondrites. Goldschmidt Conference Abstracts 2003, A10.)

Das Material kann dabei noch aus dem präsolaren Gas- und Staubnebel stammen, aus dem sich die Sonne, Planeten, Monde, Planetoiden und Kometen einst, vor ca. 4,6 Milliarden Jahren, bildeten. Es gibt allerdings auch Hinweise auf eine Formung von Nanodiamanten im inneren Sonnensystem, die dann nicht als präsolar anzusprechen wären, gleichwohl aber aus dem extraterrestrischen Raum stammen (Bradley et al., Possible in situ formation of meteoritic nanodiamonds in the early Solar System Nature 418: 157-159, 2002).

Graphit, Nanodiamanten, Fullerene können “Nebenprodukte” darstellen, die während des Impakts bei hohen Drücken und Temperaturen sowie im Zusammenspiel von originären extraterrestrischer Materials im Kometenkern und irdischer Atmosphäre gebildet wurden. Es kann aber auch sein, dass sie geringe Reste präsolarer oder interplanetarer Materie sind, die vom Nukleus des Kometen selbst stammen. Nachdem eine geo- oder anthropogene Erzeugung von Nanodiamanten, Fullerenen, Graphit, Fe5Si3 (Rappenglücket al. 2004, Hoffmann et al. 2005) mit hoher Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden kann, spricht viel für eine extraterrestrische Herkunft, und Manches für einen präsolaren Ursprung der Stoffe.