Makroskopische Deformationen

Seit der ursprünglichen Veröffentlichung auf dieser Webseite sind neue Erkenntnisse hinzugekommen:

— Eine große Anzahl von Schürfen und Aufschlüssen vor allen in neu erweiterten Kiesgruben haben enorme Einblicke in den bemerkenswerten Impaktprozess vermittelt und eine Fülle impakt-typischer Deformationen von Geröllen alpiner Lithologie aufgezeigt. Eine Zusammenfassung dieser Beobachtungen findet sich in dem Artikel Ernstson et al. (2010): The Chiemgau Crater Strewn Field: Evidence of a Holocene Large Impact Event in Southeast Bavaria, Germany; hier anklicken:  http://elib.sfu-kras.ru/bitstream/2311/1631/1/04_.pdf 

 

— Ein ganz besonderer Typ einer Impaktdeformation sind die sogenannten Furchensteine vom Chiemsee. Es wird angenommen, dass die ganz besondere, vielfach geometrische Muster aufweisende Skulptur auf Kalk- und Sandsteingeröllen auf Ablation während des Impaktvorganges (also vergleichbar den Ablationsstrukturen auf Meteoriten (Regmaglypten)) zurückzuführen ist. Danach entstand die Skulptur bei der Exkavation und dem Auswurf der Gerölle durch einen hochenergetischen Strom überhitzter Gase (Wasserdampf, Kohlendioxid) unmittelbar nach dem Einschlag der Projektile, die die Krater am Chiemsee-Boden erzeugten.

Auf die absurden und immer wieder propagierten Vorstellungen lokaler Geologen, diese Ablationsstrukturen seien ganz gewöhnliche Fraß- und Lösungsspuren von Bakterien, Algen und Muscheln, wird in mehreren Beiträgen in der Rubrik „Bilder des Monats“ eingegangen, wo im Kontrast auch die physikalischen Vorgänge bei der Entstehung der Furchensteine erläutert werden.

Die Furchensteine vom Chiemse haben zum Verwechseln ähnliche Gegenstücke in Form von Kalksteinklasten in den Auswurfmassen der großen spanischen Rubielos de la Cérida-Impaktstruktur ( http://www.impact-structures.com/article%20text.pdf).

Furchenstein mit regmaglyptischen Ablationsstrukturen aus der Rubielos de la Cérida-Impaktstruktur (Spanien).

Furchenstein  vom Chiemsee im Chiemgauer Meteoritenkrater-Streufeld.

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Makroskopische Deformationen (ursprünglicher Beitrag)

Viele der Krater zeigen enorme mechanische Deformationen der Gerölle am Boden, in den Kraterwänden und in dem Material, das die Ringwälle aufbaut. Dazu gehören stark zerbrochene aber dennoch zusammenhaltende Blöcke, weit offene scharfkantige Risse in ebenfalls kohärenten Geröllen, rotierte Brüche, in situ Brecciierungen mit Vergriesungserscheinungen und Mörteltextur Abb. 1 – 7). Auch aus dem Ringwall des Tüttensees konnten große Mengen dieser auffällig deformierten Gerölle geborgen werden.

Abb. 1. Beispiel eines heftig zerbrochenen Sandstein-Gerölls, wie es typischerweise in den Kratern der Streuellipse gefunden wird.

Abb. 2. Stark zerbrochener Quarzit-Block aus dem Ringwall des Tüttensee-Kraters. Man beachte die multiplen Scharen eng benachbarter Brüche und die deutlichen Versätze. Der Block bleibt dennoch zusammenhängend und ist nicht in Bruchstücke zerfallen, charakteristisch für eine Hochdruck-/Kurzzeit-Deformation.

>Abb. 3. und Abb. 4. Typisch scharfkantig zerbrochene, aber zusammenhaltende Komponenten aus dem Tüttensee-Ringwall.

 Abb. 5. Aus dem Tüttensee-Ringwall. Man beachte die Kohärenz der Komponente und die abgespreizten Fragmente (Pfeile).

Abb. 6. Aus dem Tüttensee-Ringwall.

 Abb. 7. Quarzit-Komponente mit Vergriesung (monomikte Bewegungsbreccie) aus Krater 004.

Abb. 8. Zum Vergleich: Monomikte Bewegungsbreccie aus der Ries-Impaktstruktur (Nördlinger Ries).

Von Geologen, die in der Region arbeiten oder gearbeitet haben (z.B. Doppler & Geiss, 2005), werden diese Deformationen als ganz normal hingestellt und mit alpidischer Tektonik oder sogar Verwitterung in Verbindung gebracht. Diese Erklärung bereitet sehr große Schwierigkeiten bzw. ist auszuschließen, wenn man bedenkt, daß die Gerölle mit dem Eis, vor allem aber mit Flüssen aus dem Alpenraum herantransportiert wurden. Bei einem Eistransport mag man sich noch vorstellen, daß angebrochene Gesteine im Eis gefangen waren und beim Abschmelzen einfach zu Boden sanken. Nur fragt man sich dann, warum diese enorm beanspruchten Gerölle offenbar vom Gletscher ganz gezielt und fast punktgenau immer nur dort abgelagert wurden, wo sich heute Krater mit einem Ringwall befinden. Noch schwieriger wird es, einen Transport in einem reißenden (wegen der Größe der Gerölle!) Fluß zu verstehen. Die Beispiele der Abb. 1 – 7 vermitteln, daß diese und ähnliche Gerölle einen solchen Transport keine 50 m überlebt hätten. Es bleibt der Schluß, daß die Deformation in situ, also dort erworben wurden, wo sich die Gerölle heute befinden.

Auch beim Tüttensee (mit 400 m Durchmesser der bisher größte der Krater) und den dort zu beobachtenden Gesteinsdeformationen werden von Quartärgeologen aus der Region die Alpen und die Eiszeit bemüht. Nach der bisher geltenden Meinung handelt es sich beim Tüttensee um ein sogenanntes Toteisloch als Relikt aus der Eiszeit. Toteislöcher sind bekannte Erscheinungen: Beim Stillstand und Rückzug von Gletschern können sich Eiskörper  ablösen – sie sind “totes Eis“. Werden diese isolierten Toteiskörper mit von Flüssen herantransportiertem Gletscherschutt zugedeckt und gegen Wärme und Sonneneinstrahlung abgeschirmt, können sie über lange Zeiträume im Untergrund erhalten bleiben. Beim endgültigen Zusammenschmelzen sacken die Flußablagerungen nach, und es bilden sich Wannen – die Toteislöcher. Seen können sich dann in den Toteiswannen bilden, wenn diese in das Grundwasser hinabreichen oder am Boden mit abdichtenden Schichten ausgekleidet sind. In manchen Fällen können Toteiswannen von Hügeln ringartig umgeben sein. Man erklärt solche Formen durch unterschiedliches Schmelzen im Zentrum und am Rande des zugedeckten Toteiskörpers. In jedem Fall bleibt es auch beim Ringwall des Tüttensees absolut unerklärlich, wie die enormen Deformationen vieler Gerölle den Flußtransport bei der Zudeckung des Toteises überlebt haben sollen.

Das Festhalten der Quartärgeologen an den alten Vorstellungen ist nachvollziehbar (siehe dazu die Ausführungen zum Tüttensee!). Sie haben in der Regel keinen Zugang zu Impaktvorgängen und kein Verständnis für die dabei in extrem kurzer Zeit ablaufenden dynamischen Vorgänge. Die dabei entstehenden Gesteinsdeformationen sind aber vielfach diagnostisch und schließen langsame tektonische, quasistatische Bewegungen aus, was in der Impaktforschung bekannt ist, aber praktisch keinen Eingang in die geologisch-tektonische Literatur gefunden hat.

Frühe Beobachtungen zu solchen Deformationen liegen aus dem Impaktkrater des Nördlinger Rieses vor (Chao 1977; siehe auch Rampino et al. 1996, 1997 a, b, und Claudin et al. 2001) (Abb. 9). Gehäuft treten diese Deformationen, die je nach Ausbildung auch als Brotscheiben-Deformationen oder rotierte Brüche bezeichnet werden, in den Ejekta der spanischen Impaktstrukturen Azuara und Rubielos de la Cérida auf (Ernstson & Claudin 1990, Ernstson et al. 2002) auf (Abb. 10). Sie werden auch in den Impaktstrukturen Crooked Creek und Decaturville, Missouri, USA, beobachtet. Wesentlich für ihre Deutung ist ihr Vorkommen in Form harter Komponenten in einer weichen Matrix. Bruchmechanisch lassen sich die Deformationen dann in einem Hochdruck/Kurzzeit-Prozeß verstehen, wie er in Impakten abläuft. Ein sehr hoher Umschließungsdruck ist neben einem überlagerten differentiellen Druck erforderlich, damit in der weichen Matrix überhaupt eine ausreichende Energieübertragung möglich ist und damit trotz der Zerpressungen und Scherungen/Torsionen die Komponenten kohärent zusammenhängend bleiben. Und eine sehr kurzzeitige Beanspruchung ist zwingend, da bei langanhaltender langsamer Deformation die Komponenten dem Druck einfach ausweichen oder letztlich doch vollständig zerschert würden. Eine tektonische Ursache dieser ganz speziellen Deformationen kann ausgeschlossen werden.

  Abb. 9. Charakteristisch verformte Komponenten aus der weichen Matrix der Bunten Breccie-Ejekta des Nördlinger Rieses.

Abb. 10. Charakteristisch verformte Komponenten aus der weichen Matrix der Ejekta der Azuara/Rubielos de la Cérida-Impaktstrukturen (Spanien).

Auch die weit offenen Risse in den sonst kohärenten Geröllen mit völlig glatter Oberfläche ohne jede Scherung (Abb. 11, Abb. 13) können unmöglich tektonischen Ursprungs sein, von Verwitterungsvorgängen (Doppler & Geiß 2005) ganz zu schweigen. Stattdessen sind diese sogenannten Spallations-Merkmale das typische Ergebnis einer dynamischen Schockbeanspruchung.

Abb. 11. Geröll mit Spallationsrissen aus dem Tüttensee-Ringwall.

Abb. 12. Spallationsriß in einem experimentell geschockten ARMCO-Eisen. Probe. M. Hiltl.

 Abb. 13. Spallationsrisse in einem Sandstein-Geröll aus Krater 016 im Chiemgau-Streufeld. (links)

   Abb. 14. Spallationsrisse in einem natürlich geschockten Quarzit-Geröll. Aus einem Buntsandstein-Konglomerat in der Nähe des Rubielos de la Cérida-Impaktbeckens. (rechts)

Spallation ist ein wohlbekannter Prozeß in der technischen Bruchmechanik (Abb. 12), gehört bei großen Impaktstrukturen zum Schockinventar (Abb. 14) (Ernstson et al. 2001 a, b) und ist sowohl theoretisch als auch experimentell von vielen Forschern untersucht worden. Unglücklicherweise ist es weniger gut bekannt, daß Spallation in der Natur als ein real existierendes geologisches Phänomen in Impaktkratern und ihrem Umfeld beobachtet werden kann. Spallation tritt auf, wenn ein kompressiver Schockimpuls auf eine freie Oberfläche trifft oder auf eine Materialgrenze mit dahinter verringerter Impedanz (= Produkt aus Dichte und Schallgeschwindigkeit). Dann wird an der Grenzfläche der Druckimpuls als ein Zugimpuls reflektiert, und die auftretenden Zugspannungen können weit offen stehende Zugrisse erzeugen und zu einfachen oder mehrfachen Materialabplatzern führen (Abplatzen: engl. to spall, spallation). Für das Verständnis der bei der Spallation ablaufenden Prozesse und der sich bildenden Deformationen verweisen wir auch auf diesbezügliche Ausführungen:

http://www.impaktstrukturen.de/2011/11/impakt-spallation-in-der-natur-und-im-experiment/

http://www.impaktstrukturen.de/spain/schock-deformationen-in-trias-konglomeraten-buntsandstein-in-spanien/

Schließlich betonen wir, daß die hier aus der Impaktstreuellipse gezeigten Beispiele für Deformationen keine seltenen Funde darstellen sondern regelmäßig in und bei den Kratern auftreten. Im Ringwall des Tüttensees zeigen schätzungsweise 40 – 50 % aller bisher untersuchten Gerölle starke Deformationen, während man in den dem Tüttensee nächstgelegenen Kiesgruben vergeblich danach sucht.

Eine Diskussion der Impaktdeformationen erfolgt auch in der Entgegnung auf einen Internetartikel von Mitarbeitern des Landesamtes für Umwelt, Geologisches Landesamt.