Historische Bezüge – oder: Wann stürzte der Himmel ein?

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Wie bei Datierungsproblemen in anderen Disziplinen wie Vor- und Frühgeschichte, Archäologie oder Geologie, hat sich die Datierung des Chiemgau-Impaktereignisses als schwierig, widersprüchlich und bis heute nicht eindeutig fassbar erwiesen. Unbestritten wird eine untere Grenze durch Bronzezeit-Artefakte unter und eingemischt in Katastrophenschichten des Impaktes geliefert. Dokumente einer römischen Besiedlung an Impakt-Örtlichkeiten (Ringwall des Tüttensee-Kraters, Impaktschicht von Chieming-Stöttham) und verbreitet Siedlungsreste aus der La Tène-Zeit im Kraterstreufeld setzen unzweifelhaft eine obere Grenze bei grob 300 v.Chr. Bemühungen, diese Zeitspanne mit Hilfe von physikalischen Datierungsmethoden (OSL – optisch stimulierte Lumineszenz, C14-Methode) weiter einzuschränken, wurden unternommen, sind aber weiterhin in der Diskussion. Einige absurde Radiokarbon-Alter und fragliches vollständiges Zurücksetzen der OSL-„Uhr“ für das Chiemgau-Impaktereignis unterstreichen, dass möglicherweise irreführende Alterszahlen physikalischer Datierungen verknüpft sind mit dem Impaktprozess selbst und seinen außergewöhnlichen physikalischen Abläufen, was auch schon für andere Impakte diskutiert wurde.

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Historische Bezüge – oder: Wann stürzte der Himmel ein? (ursprünglicher Beitrag)

Gegenwärtig steht eine präzise Datierung des Chiemgau-Einschlags noch aus. Anhaltspunkte aus verschiedenen Disziplinen der Geistes- und Naturwissenschaften ermöglichen es aber, einen Zeitrahmen aufzuspannen und darin das Impaktereignis einzugrenzen.

  • Eine Vielzahl der Krater liegt in einem Gebiet, das während der letzten Eiszeit vom Chiemsee- Gletscher bedeckt wurde. Ihr zum Teil erstaunlich guter Erhaltungszustand ist ein deutliches Indiz dafür, dass sie nach dem Ende der Eiszeit (der Gletscherrückzug setzte vor ca. 15.000 Jahren ein) entstanden sein müssen.
  • Ein im Ältöttinger Landkreis gelegenes künstliches Wall-Graben-System, der sog. „Laubergraben“, wird möglicherweise am Rand von einem Krater überlagert (Fehr et al., A meteorite impact crater field in eastern Bavaria? A preliminary report, Meteoritics & Planetary Science 40 [2005] Nr. 2, 187-194, hier: 190). Trifft dies zu, so gibt der Bau dieser Anlage eine Zeitgrenze, vor der der Impakt nicht erfolgt sein kann. Nun sind aber sowohl der Zweck als auch die Entstehungszeit des Bauwerks umstritten: Handelt es sich um eine Befestigungsanlage oder um ein Bewässerungssystem? Entstand es im 12. Jahrhundert n. Chr., in der Römerzeit oder in der für ihre befestigten Höhensiedlungen bekannten jüngeren Urnenfelderzeit (ca. 1000 – 750 v. Chr.)? Stammen verschiedene Teile gar aus verschiedenen Zeiten? Solange darüber keine Gewissheit besteht, muss vorsichtshalber mit der Zeitstellung gerechnet werden, die den Zeitraum für den Impakt am wenigsten einengt. Vorausgesetzt, dass der Krater wirklich in das Bauwerk einschneidet, ergäbe sich somit, dass der Einschlag mit großer Wahrscheinlichkeit nach 1000 v. Chr. erfolgte. Auch der schon erwähnte gute Erhaltungszustand mancher Krater spricht gegen eine frühere Entstehungszeit.
  • Römische Funde, die dem 2. Jh. n. Chr. zuzuordnen sind, sprechen dafür, dass die Krater zu dieser Zeit schon existierten: Auf dem Wall des Tüttensee-Kraters (Abb. 1) wurden ein Schlüssel (Abb. 2) und Münzen entdeckt; außerdem bezeugt ein Bericht aus dem 18. Jh. dort einen mittlerweile zerstörten oder verloren gegangenen römischen Grabstein (Abb. 3). In Krater 008 wurde ein kleeblattförmiges Zierelement geborgen, das einst Bestandteil einer römischen Tracht gewesen war. Alle diese Objekte können erst nach der Entstehung der Krater an ihren Fundort gelangt sein. Somit müssen die Krater vor dem 2. Jh. n. Chr. entstanden sein. Untermauert werden diese Schlussfolgerungen durch die Radiokarbondatierung von Holzkohleresten in einem weiteren Krater: es ergab sich ein Alter von 1790 ± 60 Jahre (Fehr et al., a.a.O., 192), also eine Datierung in das 2./3. Jh. n. Chr. Wären die Römer Augenzeugen des Impakts geworden, so müsste – angesichts ihrer hohen Präsenz im Chiemgau – dieses Ereignis in ihre Überlieferung Eingang gefunden haben. Es gibt aber keine entsprechenden Hinweise. Somit spricht alles dafür, dass der Impakt vor dem Beginn der römischen Okkupation, d.h. vor 15 v. Chr. stattgefunden haben muss.
  • Der griechische Geograph Strabon (ca. 63 v. Chr. – 23 n. Chr.) berichtet in seiner „Geographie“ (7,3,8) unter Berufung auf eine zeitgenössische Quelle vom Besuch einer keltischen Gesandtschaft bei Alexander dem Großen: „Und Ptolemaios, Lagos’ Sohn, erzählt dass während dieses Feldzuges die Kelten an der Adria eine Begegnung mit Alexander hatten um Gastfreundschaft zu schließen. Nachdem der König sie freundlich empfangen hatte, habe er sie beim Zechen gefragt, was es sei das sie am meisten fürchteten, in der Meinung, sie würden sagen: ihn; sie selber aber hätten geantwortet: nichts, es sei denn dass der Himmel ihnen auf den Kopf fiele; …“. Die Äußerung der Kelten über ihre ausschließliche Angst vor dem Herabfallen des Himmels ist in erster Linie als Anekdote zur Illustration ihrer Furchtlosigkeit gedeutet worden. Auf dem Hintergrund des Chiemgau-Impakts bietet sich jedoch eine andere Interpretation an: Der Impakt muss für das betroffene Gebiet tatsächlich wie der Einsturz des Himmels gewirkt haben und dürfte eine entsprechende Überlieferung hervorgerufen haben. Die Kelten, die vor Alexander ihre Furcht vor dem Herabfallen des Himmels bekundeten, hätten demnach nicht von einer vielleicht irgendwann in der Zukunft eintretenden Katastrophe, sondern von der möglichen Wiederholung eines Ereignisses aus der Vergangenheit gesprochen. Das genannte Treffen mit Alexander dem Großen fand im Jahr 335/334 v. Chr. statt. Wenn sich die Aussage der Kelten auf die eventuelle Wiederkehr eines früheren Ereignisses bezogen, muss der Impakt vor 335 v. Chr. stattgefunden haben.

Die verschiedenen Anhaltspunkte ergeben für den Impakt einen Zeitrahmen etwa zwischen 1000 v. Chr. und 335 v. Chr. Eine neuere Datierung mit der Thermolumineszenz-Methode (persönliche Mitteilung Dr. B. Raeymaekers) von einem Krater-Geröll, das mit einer nanodiamant-haltigen Glaskruste überzogen ist, gibt ein Alter von 300 v. Chr. + 200 Jahre. Damit erscheint derzeit ein Datum für den Einschlag zwischen 500 und 335 v. Chr. am wahrscheinlichsten.

Abb. 1. Römische Funde (2. Jh. n. Chr.)
auf dem Kraterwall des Tüttensee.

Abb. 2. Auf dem Wall des Tüttensee wurde schon vor einiger Zeit ein besonderer Fund gemacht: Ein Schlüssel, dessen Knauf in Gestalt eines plastisch modellierten und fein ornamentierten Panters ausgearbeitet ist, stammt aus der Römerzeit, 2. Jh. n. Chr. Der Impakt muß daher auf jeden Fall vor dieser Zeit stattgefunden haben.

Abb. 3. Ein Bericht aus dem 18. Jh. bezeugt einen römischen Grabstein auf dem Wall des Tüttensee-Kraters. Die Inschrift: Für Cupitus, des Secundus Sohn, gestorben mit 81 Jahren, und Avetontia Romana, die Mutter, hat Secundus, der Sohn, (den Grabstein) gemacht. Aus: August Obermayr, Römersteine zwischen Inn und Salzach, Freilassing 1974.

Zwei Fragen werden im Zusammenhang mit der zeitlichen Einordnung des Impakts immer wieder gestellt: Gibt es schriftliche Quellen, die über das Geschehen berichten? In welchem Umkreis wirkte es sich aus, und beeinflusste es die damalige Kultur?

Leider haben die Kulturen, die zwischen 1000 und dem 4. Jh.v. Chr. unseren Raum geprägt haben (Urnenfelderkultur, Hallstatt, Latène), abgesehen von keltischen Inschriften, keine schriftlichen Zeugnisse hinterlassen. Auf Augenzeugenberichte hoffen wir also vergeblich. Möglicherweise haben aber antike Autoren Phänomene notiert, die als Fernwirkungen des Impakts sogar jenseits der Alpen im heutigen Italien oder auf dem Balkan beobachtet worden sein können: z.B. Steinregen oder auffallende Leuchterscheinungen. Um derartige Berichte zuverlässig mit dem Chiemgau-Impakt in Verbindung bringen zu können, bedarf es allerdings erst noch sichererer Datierungsgrundlagen durch andere Disziplinen.

Ähnlich schwierig ist es, Aussagen zu machen über die Bevölkerungsdichte zur Zeit des Impakts und über das Ausmaß seiner Auswirkungen: Wie viele Menschen lebten damals in unserem Raum? In welchem Umkreis wirkten sich die verschiedenen mit dem Impakt verbundenen Phänomene, z.B. Druckwelle und Glutwolke, aus? Müssen wir damit rechnen, dass es zu einem kulturellen Bruch, vielleicht einer völligen Verödung des betroffenen Gebiets für längere Zeit kam? Lässt sich dies an archäologischen Befunden ablesen? Oder traf das Ereignis ein so dünn besiedeltes Gebiet, dass einschneidende kulturelle Veränderungen nicht zu erwarten sind? Hat der Impakt das Klima der damaligen Zeit beeinflusst?

Abb. 4. Der Fall eines großen Meteoriten (ursprünglich ca. 127 kg schwer) zu Ensisheim, Elsass, am 7. November 1492 (aus der Luzerner Bilderchronik 1513). Man nannte ihn den „Donnerstein von Ensisheim“. Palais de la Regence, Ensisheim.

Abb. 5. „Wenn der Himmel mit seinen Sternen auf die Erde fällt“ – Illustration von Lukas Cranach (1522) zur zweiten Vision der „Sieben Siegel“ aus der Johannes-Apokalypse: Die Sterne fallen in Form flammender Gesteinsbrocken aus dem aufgebrochenen Himmel, Wolken verdunkeln den Himmel, Erdbeben verursacht durch die einschlagenden meteoritischen Bruchstücke erschüttern die Städte und bringen Gebäude zum Einsturz. Die Menschen flüchten sich verängstigt in Höhlen, um irgendwie Schutz zu finden.

Abb. 6. Diese Malerei von P.I. Medvedev zeigt den beeindruckenden Fall des Feuerballs von Sikhote- Alin am Morgen des 12. Februar 1947. Der mehrere hunderte Tonnen schwere Eisenmeteorit zerbrach in eine gewaltige Kaskade von Fragmenten, die mit insgesamt ca. 200 t den größten je beobachteten Meteroitenschauer erzeugten. Der Maler blickte gerade zufällig aus seinem Fenster, als er das schreckenerregende Naturschauspiel sah und geistesgegenwärtig zum Pinsel griff, um es zu dokumentieren. Copyright: Dr. Michael Peteav, Smithsonian Astrophysical Observatory. 39.

Wie schwierig es ist, sich von den Auswirkungen des Impakts einen Eindruck zu verschaffen, das illustrieren die Daten und Berichte über die Explosion eines Himmelskörpers über der Region Tunguska (Sibirien/Russland) im Jahr 1908. Das Objekt, bei dem es sich nach den heute anerkanntesten Thesen um einen Asteroiden oder Kometen handelte, explodierte in einer geschätzten Höhe zwischen 5 und 14 km. Bäume in einem Umkreis bis etwa 30 km wurden entwurzelt oder entästet, ihre Rinde verbrannte. Die Zelte von Rentiernomaden wurden weggerissen oder eingeäschert, ebenso ihre Tiere. Menschen wurden durch die Luft gewirbelt und fielen in Ohnmacht, jedoch waren nur sehr wenige Todesopfer zu beklagen. Aus einer ca. 65 km entfernten Siedlung berichteten die Bewohner von einer unerträglich brennenden Hitze. Fenster und Türen wurden eingedrückt. Noch in vielen hundert Kilometer Entfernung nahm man helle Leuchterscheinungen und starke Erschütterungen wahr. Asche und andere Partikel wurden weit in die Atmosphäre empor gerissen und rund um den Globus verweht, und auf der ganzen nördlichen Hemisphäre wunderte man sich in den folgenden Tagen über Nächte, in denen es nicht richtig dunkel wurde.

Äußerst geringe kulturelle Auswirkungen in einem dünn besiedelten Gebiet verknüpfen sich also im Fall des Tunguska-Ereignisses mit global zu beobachtenden Phänomenen. Ob wir es beim Chiemgau- Impakt mit einer ähnlichen Kombination zu tun haben, oder aber sich das Ereignis als Auslöser archäologisch fassbarer kultureller Veränderungen herausstellen wird, können wir derzeit noch nicht sagen.