Ein ungewöhnliches prähistorisches Artefakt in der Bunten Brekzie vom Tüttensee

Ein außergewöhnliches prähistorisches Artefakt aus den Auswurfmassen des Meteoritenkraters Tüttensee (Chiemgau )

von Till Ernstson, till@ernstson.de

Nachdem seit Anfang 2006 im Umfeld des holozänen Impaktkraters Tüttensee (Rappenglück et al. 2004, CIRT 2004, 2006) bei Grabenstätt annähernd 40 Schürfe angelegt wurden, um die Stratigraphie und Zusammensetzung der Auswurfmassen (Bunte Brekzie; CIRT 2006) zu verfolgen, wurde nun in Schnitt 35 zum ersten Mal ein anthropogenes Artefakt geborgen.

In nahezu allen Schürfen konnte in einer Tiefe von bis zu 150 cm und in einem Umkreis von 1000m um den Einschlagkrater die bisher bekannte Schichtfolge festgestellt werden :

            – rezenter Bodenhorizont und Humus

– Auswurfmassen mit zertrümmerten und verätzten Geröllen (Bunte            

  Brekzie ) und z.T. organischem Material  (u.a. bis zu 5% Holz)

– fossiler Boden- oder Seetonhorizont, z.T auch Humusschicht und   

  organisches Material (Haare, Knochen, Holz, Zähne )

Das hier vorgestellte Artefakt (Abb. 1 – 4) stammt aus der Schicht der Auswurfmassen, einer bis zu 1 m dicken Schicht aus zertrümmerten alpinen fluvioglazialen Geröllen, darunter Quarzite und andere metamorphe Gesteine, zu Sand zerfallene Sandsteine und vor allem die häufig skelettartig zerfressenen Karbonatgesteine, die ihre auffälligen Formen (Abb. 5) vermutlich durch Dekarbonatisierung/Schmelzen und/oder Säurefraß durch die wohl beim Einschlag entstandene Salpetersäure erhalten haben (CIRT 2006).

Abb. 1, Abb. 2. Das angebohrte Quarzit-Geröll aus der Impakt-Ejektalage am Tüttensee.

In diesem Material aus ca. 1m Tiefe des Schurfes 35 wurde vom Verfasser das äußerlich unveränderte, 17,6 cm lange und 8,4 cm dicke Quarzitgeröll gefunden, das an einer anfänglich konisch gepickten Bohrung von 3,6 cm Tiefe gebrochen ist (Abb. 1, 2). Da die Pickspuren bis in eine Tiefe von etwa 3 cm bei einem Anfangsdurchmesser von ca 4,5 cm reichen, ist anzunehmen, daß mit Hilfe einer Art Meißel, möglicherweise einem länglichen Quarzitstück, gearbeitet wurde. Die erst sehr tief einsetzende Bohrung zeigt, wenn auch nur schwach ausgeprägt, die Anzeichen einer Kernbohrung (Abb. 3, 4), d.h. eine Arbeit mit einem schnellrotierenden Bohrer mit Gestänge und Bohrkopf aus Holunder.

Abb. 3, Abb. 4. Detailansichten der Bohrung. Die zentrale Erhebung am Boden belegt die Verwendung eines Hohlbohrers.

Experimentell belegt ist die Möglichkeit einer Bohrung in einem derart harten Silikatgestein, wobei aus China sogar durchbohrte Korund-Äxte beschrieben sind (Lu et al. 2005). Allerdings ist unseres Wissens ein Vergleichsstück aus Deutschland nicht bekannt. Selbst aus der Megalithkultur Norddeutschlands sind keine durchbohrten Äxte aus Silex, das eine dem Quarzit vergleichbare Härte besitzt, belegt.

Der Zweck der Bohrung ist nicht zweifelsfrei zu klären. Auszuschließen sind definitiv (Web-)Gewicht oder Anker, allein wegen der extrem zeitaufwändigen Arbeit im Vergleich zu für diese Zwecke gleichwertigen  Materialien wie Ton oder Kalkgestein.

Die äußere natürliche Form des Steines und der Ansatzpunkt der Bohrung im hinteren Drittel lässt am ehesten die Vermutung zu, dass es sich um einen Rohling für eine Prunkaxt handelt. Diese Hypothese wirft allerdings die Frage auf, warum die grobe Form nicht bereits vor der Bohrung durch Picken ausgearbeitet wurde, um die Gefahr eines Bruches, insbesondere nach schon beendeter Bohrung, zu senken.

Ob der Bruch beim Bearbeiten oder beim Impakt geschah, ist nicht festzustellen. Wenige unsichere Pickspuren auf der Gegenseite des Gerölls mögen auf ein Anpicken für eine doppelkonische Bohrung deuten, was ebenfalls zum Bruch geführt haben könnte.

Ebenso wird auch die zeitliche Einordnung ungeklärt bleiben. Erste durchbohrte Keulenköpfe tauchen im Mesolithikum auf, am wahrscheinlichsten ist jedoch eine mittel- bis endneolithische Zeitstellung, möglich aber auch ein bronzezeitliches Alter (pers. Mitteilung J. Weiner).

Bekannt ist, dass aus Impaktiten Artefakte hergestellt wurden (z.B. Lybisches Wüstenglas); aber dies ist wohl der erste bekannte Fund eines Artefaktes in einem Impaktgestein.

Abb. 5. Typische stark veränderte Gerölle aus dem Impakthorizont in Schurf 35, mit denen zusammen das Quarzit-Artefakt geborgen wurde. Die scharfkantige Zerbrechung kann nur beim Impakt entstanden sein, und die extreme Korrosion der Klasten ist durch Salpetersäurelösung und/oder Dekarbonisierung/Schmelzen von Karbonat zu erklären (CIRT 2006) .

Danksagung. – Herrn Jürgen Weiner danke ich für Begutachtung und gemeinsame Erörterung des Fundes.

Literatur

CIRT, Chiemgau Impact Research Team (2004): Did the Celts see a cometary

impact 200 B.C.? http://www.astronomy.com/asy/default.aspx?c=a&id=2519

Rappenglück et al. (2004): The Chiemgau impact event in the Celtic Period: evidence of a crater strewnfield and a cometary impactor containing presolar matter. http://www.chiemgau-impact.com/start.html.

2004. †To whom correspondence should be addressed: email plu@fas.harvard.edu

Lu, P.J., Yao, N., So, J.F., Harlow, G.E., Lu, J.F., Wang, G.F. & Chaikin, P.M. (2005): The earliest use of corundum and diamond in prehistoric China. Archaeometry, 47, 1-12.

CIRT (Chiemgau Impact Research Team) (2006):  Der holozäne Tüttensee-Meteoritenkrater in Südostdeutschland.  http://chiemgau-impakt.de/artikel2d.pdf

ANHANG

Dass die Behauptungen des BLfD und dessen Begutachtung des Artefakts, das die Bohrung für eine neuzeitliche Anfertigung hält und indirekt anklingen ließ, dass das Quarzitgeröll gar nicht aus der beschriebenen Schicht stammt, auf tönernen Füßen stehen, hat der Verfasser selbst in einem Experiment erbracht. In einer nach vorgeschichtlichen Vorbildern nachgebauten Bohrmaschine mit Holunderholz-Bohrkopf hat er in einem alpinen Quarzitgeröll der beprobten Härte 7, faziell identisch mit dem Material des Mühlbach-Artefakts, innerhalb von nur fünf Minuten eine Bohrung mit Kuppe des Steinkerns fabriziert, wie es die nachfolgenden Bilder präsentieren.