Shatter Cones vom Tüttensee-Krater (Chiemgau-Impakt)

Shattercones (englisch häufiger shatter cones; deutsch: Schmetter-Kegel) sind kegelförmige Brüche mit typischen Bruchflächenmarkierungen, die von Schockwellen erzeugt werden und die zu den wohlbekannten und sicheren makroskopischen Schockmerkmalen in Gesteinen von Meteoritenkratern (Impaktstrukturen) gehören.

Im Bereich der Krater des Chiemgau-Impaktes waren bisher keine Shattercones als sicheres Impakt-Indiz gefunden worden, was mit den vorherrschend sehr lockeren Gesteinsmassen im Einschlaggebiet erklärt werden konnte. In dieser Hinsicht muss offensichtlich umgedacht werden, seit vor kurzem im Bereich des Tüttensee-Ringwalles ein Stein mit klaren Shattercone-Strukturen aufgefunden wurde (Abb. 1).

shatter cones from the tüttensee crater, chiemgau impact meteorite crater strewn field

Abb. 1. Shattercone-Doppelkegel vom Tüttensee-Krater.

Es handelt sich um einen an den Bruchflächen aus einem feinkörnigen Sandstein herausgewitterten Doppelkegel entgegengesetzter Orientierung, von denen die Kegelstümpfe erhalten sind (Abb. 2).

top and side view of the Lake Tüttensee shatter cones Chiemgau impact

Abb. 2. Die ergänzten Stümpfe der gegenläufigen Shatter Cones und der kreisförmige Kegelschnitt des größeren der beiden Kegel. 

Einen guten Vergleich erlaubt eine Gegenüberstellung mit einem Shattercone aus dem Crooked Creek-Meteoritenkrater in Missouri, USA (Abb. 3).

comparicon of shattercones Crooked Creek meteorite crater and Lake Tuettensee meteorite crater Chiemgau impact

Abb. 3. Tüttensee-Shatter Cones und Shatter Cone in Dolomit vom Crooked Creek-Meteoritenkrater, Missouri, USA. 

Obgleich angewittert, sind die typischen Pferdeschwanz-Bruchflächenmarkierungen der Tüttensee-Shattercones noch gut erkennbar. Eine Verwechslung mit anderen Strukturen (Tutenmergel [cone-in-cone-Strukturen], Lanzettbrüchen, Windschliff usw.), wie es bei unerfahrenen Beobachtern immer wieder vorkommt und selbst im Internet fälschlich gezeigt wird, ist auszuschließen.

Wegen des Fundes im Bereich der Auswurfmassen des Tüttensee-Ringwalls ist davon auszugehen, dass sich die Shattercones nahe dem zentralen Einschlagpunkt gebildet haben, wo die notwendigen Schockdrücke (grob 20 – 200 Kilobar) herrschten, um dann als Bruchstück bei der Exkavation mit den Auswurfmassen nach oben und außen zu gelangen. Welche Form das Ausgangsgestein hatte, lässt sich nicht mehr rekonstruieren. Es könnte ein großer Moränenfindling gewesen sein, aber auch eine größere Sandsteinkomponente als Teil einer stärkeren Nagelfluhplatte. Große scharfkantig gebrochene Gesteinsbrocken finden sich heute noch im Bereich des Tüttenseeufers. Ob sich Shattercones in Ausnahmenfällen auch in einzelnen Geröllen bilden können, ist unbekannt, aber auch nicht völlig auszuschließen. Vieles wird beim Bildungsprozess der Shattercones immer noch nicht verstanden. Z.B. ist bis heute ungeklärt, warum im Nördlinger Ries eindeutige Shattercones bisher nur in Kristallingesteinen aber nie in den eigentlich hervorragend geeigneten Malmkalksteinen gefunden wurden, obgleich die Druckverhältnisses leicht ausgereicht haben müssten. Bei den Shattercones des Ries-Kraters ist auch anzumerken, dass sie nicht nur im Krater selbst im anstehenden Kristallin angetroffen werden (z.B. im aufgelassenen Steinbruch von Wengenhausen), sondern auch in schönen Exemplaren aus den Auswurfmassen der Bunten Brekzie bekannt sind. Das sind dieselben Verhältnisse, wie wir sie offenbar auch am Tüttensee haben: Die Shattercones entstehen ganz am Anfang des Einschlagprozesses beim Durchgang der Schockwelle und werden dann anschließend im geschockten Gestein mit ausgeworfen.

Bemerkenswert bei den Shattercones vom Tüttensee ist die Kombination der entgegengesetzt orientierten Kegel. Im allgemeinen und statistisch belegt zeigen die Spitzen der Kegel etwa in Richtung auf den Ursprung der erzeugenden Schockwelle. Aber auch extrem variierende Orientierungen werden beobachtet, und vielfach gibt es – wie im Fall Tüttensee – auch genau entgegengesetzt ausgerichtete Kegel. Dafür gibt es auch eine physikalische Erklärung (David 1977), auf die hier nicht weiter eingegangen wird. Im Fall der Shattercones vom Crooked Creek-Krater (Abb. 3) sind gegenläufige Kegel relativ häufig, und Abb. 4 und Abb. 5 zeigen Beispiele vom Steinheimer Becken und vom Kentland-Krater.

reverse shatter cones Malmian limestone Steinheim impact basin Germany

Abb. 4. Gegenläufige Shatter Cones als  Negativ and Positiv in Malm-Kalkstein, Impaktstruktur Steinheimer Becken (Deutschland).

reverse shatter cones Kentland impact crater

Abb. 5. Zwei Shatter Cones mit gegenläufiger Orientierung. Kentland-Impaktstruktur (Indiana, USA).

Abschließend soll der Hinweis nicht fehlen, dass es sich bei dem Fund vom Tüttensee um einen Lesestein handelt.  Der Fundpunkt im Bereich der Auswurfmassen des Meteoritenkraters verlangt schon sehr viel Fantasie, diesen Shattercone-Stein NICHT im Zusammenhang mit dem Chiemgau-Impakt zu sehen. Im strengen Sinne beweiskräftig für die Verfechter des Impaktes ist er damit nicht, und eine Entstehung bei einem viele Millionen Jahre zurückliegenden Impakt im alpinen Bereich, der heute als Struktur nicht mehr erkennbar ist, kann natürlich nicht 100%ig ausgeschlossen werden. Im selben Sinne könnte man dann aber auch argumentieren, dass sich die Shattercones im Ries-Krater bereits bei einem Impakt in grauer geologischer Vorzeit im tiefliegenden Kristallin gebildet haben, um dann vor etwa 15 Millionen Jahren bei der Rieskrater-Entstehung das „Licht der Welt zu erblicken“. Gegen eine Bildung der Tüttensee-Shattercones in einem viel früheren Impakt und ein Überleben in einem eiszeitlich oder nacheiszeitlich transportierten Geröll sprechen allerdings die noch sehr frisch erscheinenden Konturen der Bruchkanten des Fundstückes.

Zusammenfassend lässt sich folgern: Unsere ursprüngliche Ansicht, dass die überwiegend sehr lockeren Gesteine des Chiemgau-Einschlaggebietes die Bildung von Shattercones nicht erwarten lassen, ist offenbar nicht mehr aufrechtzuerhalten. Das bedeutet, dass eine weitere Suche noch solchen Belegstücken durchaus erfolgreich sein kann, wozu der Leser ermuntert wird. Wichtig dabei ist, dass er sich gut die wesentlichen Merkmale dieser ganz besonderen Bruchflächenmarkierungen einprägt. Die wohl umfangreichste Information zu Shattercones kann hier im Internet angeklickt werden:

http://www.impaktstrukturen.de/impaktgesteine-impaktite/shattercone-seite/

Literatur

David, E. (1977): Anmerkung zur Bruchmechanik der shatter-cone-Bildung. – Geologica Bavarica, 75, 285-287.