Chiemgau-Impakt: Nachtrag zum Chiemsee-Tsunami

staffelbruch-titelNach dem Nachweis eines Impakt-Doppelkraters am Boden des Chiemsees haben diesem zugeordnete typische Tsunami-Ablagerungen in mehreren Kiesgruben der Umrahmung des Sees einen weiteren wichtigen Baustein im Verständnis der komplexen geologischen Verhältnisse nach Ablauf dieses gewaltigen Naturereignisses geliefert.

Die intensivere Beschäftigung mit dem Tsunami-Phänomen und die Aufarbeitung älteren Bildmaterials haben kürzlich zu einem eindrucksvollen weiteren Beleg für die geologische „Reaktion“ des quartären Untergrundes auf das Impaktereignis geführt. Unweit der Kiesgrube Eglsee mit der Aufsehen erregenden Kreuzschichtung eines Diamiktits, hat bis vor einigen Jahren die Kiesgrube Egerer bestanden, die mittlerweile verfüllt ist (Abb. 1). Vom im Jahr 2010 aktuellen Abbau ist nunmehr ein Foto (Abb. 2) aufgetaucht, das seinerzeit zur Dokumentation aufgenommen wurde, aber offenbar keinen weiteren „Klick“ ausgelöst hat.

Lageplan Chiemsee Tsunami Egerer EglseeAbb. 1. Lageplan. Karte: BayernAtlas.

Diesen Klick hat es jetzt gemacht, als klar wurde, dass seinerzeit in der Kiesgrube Egerer eine vergleichbare Schichtlagerung des Impakt-Tsunamis aufgeschlossen war, was die nachfolgenden Fotos in den Abb. 3 – 5 im Detail zeigen.

Kiesgrube Egerer Chiemsee-Tsunami PseudotektonikAbb. 2. Kiesgrube Egerer im Jahr 2010 – heute verfüllt. Aufnahme: Barbara Rappenglück.

Kiesgrube Egerer Tsunami-KreuzschichtungAbb. 3. Detail von Abb. 2: Intensive Kreuzschichtung – identisch mit der Diamiktit-Kreuzschichtung in der Kiesgrube Eglsee. Deutung als zeitgleiche Tsunami-Ablagerung. Eine nähere Erläuterung zu diesem Typus geologische Ablagerung beim Chiemgau-Impakt kann HIER nachgelesen werden. Auf das Bild klicken für volle Größe (gilt auch für die folgenden Abb.)!

Kiesgrube Egerer Pseudotektonik StaffelbruchAbb. 4. Detail von Abb. 2: Staffelbruch als Pseudo-Tektonik im lockeren Kiesmaterial. Was in der Kiesgrube Eglsee erst nach der Schließung durch Rutschungen an der Abbauwand zutage trat (siehe weiter unten Abb. 6 und 7), war in der Egerer Grube beispielhaft aufgeschlossen. Mit Pseudo-Tektonik bezeichnet man in der Geologie Schichtverformungen, die nicht durch Gebirgsbildungsprozesse entstanden sind, aber ganz ähnliche Geometrien aufweisen. Im vorliegenden Fall haben wir es mit einem Staffelbruch zu tun, den man in vergleichbarer Form aus der echten Tektonik kennt (siehe Abb. 10). Eine echte (alpine), pleistozäne oder holozäne Tektonik kann hier vernünftigerweise ausgeschlossen werde, aber ein außergewöhnliches Ereignis mit außergewöhnlichen Bewegungen (Abb. 6) innerhalb der Kiesablagerungen muss stattgefunden haben. Die Deutung liegt beim Chiemgau-Impakt mit dem Doppel-Einschlag und der Kraterbildung am Chiemseeboden, den  Auswurfmassen und dem gewaltigen Chiemsee-Tsunami. Wie sich der Staffelbruch im einzelnen gebildet hat, kann vorerst nur vermutet werden, aber abschnittsweise Unterspülungen können ein plausibler Mechanismus sein.

Pseudotektonik Chiemsee-Tsunami Chiemgau.ImpaktAbb. 5. Nachgezeichnete Versatzbahnen des Staffelbruchs. Der Dunkel-Hell-Farbwechsel in den versetzten Schichtpakten kann wechselnder Korngröße mit unterschiedlichem Feuchtigkeitsgehalt zugeordnet werden.

Mehr oder weniger ein zufälliges Zusammentreffen: Das Hervorkramen des Fotos von der Egerer-Kiesgrube folgte nur kurze Zeit später, nachdem in der stillgelegten Kiesgrube Eglsee Wind und Wetter eine neue Aufschluss-Situation an der ehemaligen Abbauwand freigelegten hatten (Abb. 6 und 7), und es gehört nicht viel Fantasie dazu, einen Egerer-vergleichbaren Staffelbruch zu konstatieren, dessen Bewegungsbahnen in Abb. 7 nachgezeichnet sind.

Kiesgrube Eglsee Pseudotektonik StaffelbruchAbb. 6. Kiesgrube Eglsee: Nach der Schließung freigelegter Staffelbruch einer Pseudo-Tektonik. Foto. Barbara Rappenglück.

Staffelbruch Pseudotektonik Chiemsee Tsunami ImpaktAbb. 7. Nachgezeichnete Bahnen des Staffelbruchs in Abb. 6.

Vor dem Hintergrund, außer der Kreuzschichtung eines Diamiktits auch eine Pseudotektonik in Form von Staffelbrüchen mit dem Chiemgau-Impakt in Verbindung zu bringen, erscheinen ähnliche Phänomene aus anderen Impakt-Strukturen interessant. So zeigt Abb. 8 ebenfalls eine Pseudo-Tektonik mit Staffelbrüchen in einem kiesigen Lockermaterial als Teil von Impakt-Auswurfmassen im spanischen Rubielos de la Cérida-Impaktbecken. Deutlich wird hier ein mehrphasiger kurzzeitiger Prozess von Pseudo-Tektonik, Ablagerung und Erosion im Zuge von Impakt-Exkavation und Massenauswurf – nicht völlig unähnlich den Beobachtungen in den Kiesgruben von Egerer und Eglsee.

stop-and-go-Barrachina Pseudotektonik Rubielos de Cérida ImpaktAbb. 8. Komplexe mehrphasige Pseudo-Tektonik mit Staffelbrüchen in den Lockermassen der Impakt-Ejekta (Auswurfmassen) in der Rubielos de la Cérida-Impaktstruktur (Spanien).

Eher vergleichbar mit einer echten Tektonik mit einem Staffelbruch (Abb. 10) erscheint der Aufschluss in Abb. 9. Aber auch hier handelt es sich um eine Pseudotektonik innerhalb von Auswurfmassen des Rubielos de la Cérida-Impaktbeckens, wie die Bildunterschrift erläutert.

stop-and-go-el-pobo Pseudotektonik Rubielos de la Cérida ImpaktAbb. 9. Pseudotektonik im Festgestein (Buntsandstein – Muschelkalk). Auswurfmassen am Rand des Rubielos de la Cérida-Impaktbeckens (Spanien). Dokumentiert ist hier wiederum ein sehr komplexer mehrphasiger, trotzdem mehr oder weniger gleichzeitiger Prozess von extremer Verformung, Sedimentation und Erosion, was eine normale Tektonik der Gebirgsbildung (z.B. Abb. 10) nicht erklären kann.

Tektonik Staffelbruch Moab VerwerfungAbb. 9. Echter tektonischer Staffelbruch. Moab-Verwerfung, Utah, USA. Quelle (Ausschnitt) Wikimedia Commons. Foto: Andrew Wilson.

Pseudotektonik in sandig-kiesigen Ablagerungen ist grundsätzlich kein unbekannter Prozess. Im Artikel „Zur Entstehung von Bruchstrukturen in glazialen Sand- Kies-Ablagerungen“ von E.H. Weiß (Naturwissenschaftlicher Verein für Kärnten) wird über eindrucksvolle Bruchstrukturen in einer Sandgrube nördlich der Stadt St. Veit/Glan (Kärnten, Österreich) berichtet, unter denen auch Staffelbrüche sehr ähnlich denen von Egerer und Eglsee zu beobachten sind. E.H. Weiß schließt aus den Beobachtungen, „daß keine Beziehung zu den regionalen Strukturen abzuleiten ist und die beschriebenen Brüche nur auf Schüttungsanomalien mit Äußerungen des labilen Untergrundes zu erklären sind“.

Dieser interessanter Beitrag mit Fotos der Bruchstrukturen kann im Internet HIER heruntergeladen werden.