Spallation leitet sich aus dem Englischen to spall = abplatzen, absplittern her und ist in verschiedenen Bereichen, z.B. in der Kernphysik, gebräuchlich. Bei Impakt-Prozessen spielt die Spallation eine wichtige Rolle (was allerdings selten richtig gewürdigt wird) und ist eng mit der Ausbreitung von Schockwellen verbunden. Vereinfacht sieht der Prozess folgendermaßen aus: Trifft die das Gestein durcheilende Druckwelle des Schocks auf eine freie Oberfläche, so wird sie dort als eine Zugwelle praktisch derselben Energie reflektiert. Und während eine Druckwelle das Gestein komprimiert, zieht eine Zugwelle das Material auseinander, wobei es zu Zugrissen und im Extremfall zu einem Abplatzen und einem Auseinandersplittern kommen kann. Dem kommt entgegen, dass die Zugfestigkeit aller Materialien, also auch der Gesteine, deutlich geringer ist als die Druckfestigkeit. Deshalb wird vielfach übersehen, dass die gewaltigen Zerstörungen beim Impakt weniger durch den Druck der Schockwellen als vor allem durch den Zug reflektierter Entlastungswellen hervorgerufen werden. Dabei muss es nicht immer zur Reflexion an freien Oberflächen kommen; auch an Grenzflächen im Gestein, an denen die sogenannte Impedanz (das ist das Produkt aus Dichte und Schallgeschwindigkeit des Materials) stark abnimmt, wird ein merklicher Teil des Drucks in Form von Zug zurückgeworfen. Bemerkenswert, aber mit der Schockphysik verträglich ist, dass dieser Prozess der Spallation in beliebigen Maßstäben zu beobachten ist: von mikroskopisch kleinen Verformungen bis hin zur Bewegung riesiger Gesteinskomplexe.
Abb. 1. Ein Kalkstein-Geröll (14 cm lang) mit den typischen offenen Spallationsrissen. Besonders schön wird der Vorgang dadurch dokumentiert, dass die laufenden Risse mitten im Geröll stecken geblieben sind. Wären sie weiter gelaufen, wäre das Geröll in Teile zerbrochen, und nichts Besonderes wäre mehr zu erkennen gewesen. Zum Verständnis sei ergänzend angemerkt, dass Risse immer an einer bestimmten Stelle im Material beginnen und sich von dort mit einer bestimmten Bruchgeschwindigkeit bewegen, die sich während des Bruches verändern und auch Null werden kann. Dann bleibt der Riss stehen, es sei denn, ihm wird wieder Energie zugeführt, so dass er weiterläuft.
Beim Chiemgau-Impakt liegen ganz besondere Gegebenheiten für Schock-Spallation vor, und zwar vor allem in Form der festen alpinen Gesteinsgerölle. Abgesehen vom Auftreten in den stark zementierten Nagelfluh-Platten finden sich die Gerölle meist in lockerer Schüttung und damit prädestiniert für eine Reaktion auf den Durchgang von Schockwellen mit resultierender Spallation. Nicht nur dass wir den extremen Impedanzkontrast an der Oberfläche der harten Gerölle haben, auch die häufig kugelige Form fördert den Effekt dadurch, dass die Schock- und Zugwellen im Inneren lupen- oder hohlspiegelartig fokussiert werden und enorme Energiedichten erreichen können.
Schon früher haben wir hier auf dieser Website über solche Deformationen berichtet und typische Bilder von Spallationsbrüchen bis in den mikroskopischen Bereich hinein gezeigt (https://www.chiemgau-impakt.de/pdfs/Chiemgau_impact.pdf; http://www.chiemgau-impact.com/petrographie.html (Abb. 17,18). Hier bringen wir wieder einige neue Beispiele von jüngsten Untersuchungen in der Gegend von Obing. Der Leser möge es uns verzeihen, dass wir auch hier keine genauen Angaben zu den Fundstellen machen. Die Erfahrungen von Tüttensee-Krater, wo heute praktisch alle Gesteine mit impakt-typischen Deformationen und anderen besonderen Veränderungen verschwunden sind, und von anderen, kleineren Kratern, die sich zum Teil ausgesprochen ausgeplündert darstellen, zwingen uns dazu, damit der Wissenschaft diese besonderen Impakt-Konstellationen erhalten bleiben.
Abb. 2. Ein Quarzitgeröll mit einem kräftigen Spallationsriss, der wie beim Stein der Abb. 1 das Geröll nicht völlig gespaltet hat. In Abb. 3 wird auf etwas sehr Charakteristisches von Spallationsrissen hingewiesen.
Abb. 3. Die Vergrößerung des Spallationsrisses von Abb. 2 zeigt etwas sehr Typisches: In vielen Fällen ist der Verlauf des Spallationsrisses ein Spiegelbild von der Krümmung der Gerölloberfäche, und im vorliegenden Fall ist die Achse der Spiegelsymmetrie als blaue gestrichelte Linie eingezeichnet. Das kann man als eine Folge der Reflexion der Schock-(Druck-)welle an der freien Oberfläche verstehen, die sich aus geometrischen Gründen in der reflektierten Front der Zugwelle wiederfindet.
Abb. 4. Spallationsrisse in einem Gneisgeröll. Auch hier durchtrennen die offenen Risse das Geröll nicht vollständig, und die Geometrie der grob rechtwinklig verlaufenden Risse spiegelt auch hier die Geometrie des kantigen Gerölls wider.
Abb. 5. Offene Spallationsrisse in einem Granatamphibolit-Geröll.
Die Beispiele mit Spallationsbrüchen in Quarzit-, Kalkstein-, Gneis- und Amphibolitgeröllen zeigen, dass der Prozess gesteinsunabhängig ist und immer wiederkehrende Merkmale vermittelt.
Um Einwänden vorzubeugen, dass diese Deformationen bereits tektonisch in den Alpen angelegt wurden um dann in Form von Geröllen im reißenden Flusstransport den Weg nach Obing nördlich des Chiemsees zu finden, verweisen wir auf den teilweise sehr fragilen Charakter der angerissenen Gerölle. Auch jegliche starke Druckwirkung auf die Gerölle kann ausgeschlossen werden, da sie ganz einfach durchtrennt und zerschert worden wären.
Spallation, wie wir sie hier in Geröllen des Chiemgau-Kraterstreufeldes finden, zeigen wir in den nächsten Bildern mit Beispielen vom Rieskrater und von den spanischen Azuara-/Rubielos de la Cérida-Impaktstrukturen. Letztere Vorkommen wurden intensiver mit begleitenden Experimenten untersucht, was hier (http://www.impaktstrukturen.de/spain/shocked.htm) nachzulesen ist und in der renommierten Zeitschrift GEOLOGY (http://pubs.giss.nasa.gov/abs/er01000b.html; PDF des kompletten Artikels kann hier angeklickt werden.) publiziert wurde.
Fig. 6. Kalkstein-Geröll aus den Auswurfmassen (Bunte Brekzie) des Nördlinger Ries-Kraters mit Spallationsrissen, die das Geröll nicht durchtrennt haben. Nach der Schockspallation wurde das Geröll noch deformiert – vermutlich im Zuge des Auswurfvorganges – ohne dabei zu zerbrechen.