Chiemgau-Impakt: Die Gravimetrie des Tüttensee-Kraters – neu beleuchtet

Wir wurden von einem aufmerksamen Internet-Besucher auf einen Blogartikel des Dr. Robert Huber, Meeresgeologe von der Universität Bremen (den wir bereits im Zusammenhang mit den regmaglyptischen Furchensteinen vom Chiemsee und seiner Interpretation als Fraß von Bakterien, Algen und Muscheln kennengelernt haben) hingewiesen, in dem Huber auf die Gravimetrie des Tüttensee-Kraters (Ernstson 2005) eingeht (Huber 2011). Wir haben uns diesen Blog-Text angeschaut und gefunden, dass Huber eine ganz neue, verblüffende Erklärung für die Schwereanomalien gefunden hat. Gleich zu Beginn lesen wir, dass Huber bereits in einem vorangegangenen Beitrag gemeint hat, zur Interpretation der Gravimetrie beitragen zu können. Diesen Beitrag haben wir leider nicht mehr im Blog finden können, worauf uns der oben genannte aufmerksame Leser mitgeteilt hat, dass in diesem nun nicht mehr existierenden Beitrag Huber offensichtlich die beiden geophysikalischen Verfahren der Gravimetrie und Geomagnetik nicht recht hat unterscheiden können.

In dem hier zur Diskussion stehenden Beitrag ist allerdings nur noch von der Gravimetrie am Tüttensee die Rede. Kurz zusammengefasst lautet die These von Huber:

(1) Der Tüttensee liegt in einer geologischen Senke (Huber: „Tüttensee-Molassesenke“), die in einer Dissertation (Papadeas 1972) aufgrund von Bohrungen konstruiert wurde. Die Karte von Papadeas zeigt nachgezeichnet und leicht vereinfacht (die Ausstrichflächen der Molasse wurden – weil unerheblich – fortgelassen) hier unsere Abb. 1.

(2) Die „Tüttensee-Molassesenke“ (Huber) bestätigt die von Ernstson (2005) gravimetrisch nachgewiesene Grabenstätt-Rinne.

(3) Die Grabenstätt-Rinne [aus der Gravimetrie abgeleitet – unser Ergänzung] ist keine „unabhängige Struktur“ sondern „setzt sich unter dem Tüttensee fort.“ (Zitate Huber)

(4) In den gravimetrischen Messungen von Ernstson (2005) paust sich der Molasseuntergrund durch.

 Da der Leser, der sich nicht die Mühe macht, den detaillierten Orginalartikel (Ernstson 2005) zu lesen, von Huber in die Irre geführt wird, wollen wir hier Stellung dazu nehmen. Das geschieht ebenfalls sehr kurz, da die Ausführungen von Huber es nicht rechtfertigen, die Gravimetrie hier im einzelnen noch einmal zu erklären.

— In unserer Abb. 1 haben wir die Karte von Papadeas (1972) mit der Schwerekarte von Ernstson (2005, Abb. 4) unterlegt. Danach fällt entgegen der Behauptung von Huber die gravimetrisch gefundene Grabenstätt-Rinne nicht mit seiner sogenannten „Tüttensee-Molassesenke“ zusammen, was insbesondere die in Abb. 1 eingezeichnete Achse der Grabenstätt-Rinne zeigt.

Abb. 1. Karte der Molasse-Oberfläche (etwas vereinfacht nach Papadeas (1972)) mit der unterlegten Karte der Gravimetrie (Ernstson 2005). Die Anzahl und Lage der für die Karte verwendeten Bohrungen ist der Karte leider nicht zu entnehmen.

— Abb. 2 mit dem gravimetrischen Gradientenfeld zeigt noch deutlicher, dass die beiden Achsen nichts miteinander zu tun haben und dass die Tüttensee-Krateranomalie in der Flanke der Grabenstätt-Rinne liegt. Die Aussage Huber, dass sich die Grabenstätt-Rinne unter dem Tüttensee fortsetzt, verfälscht die tatsächlichen Gegebenheiten.

Abb. 2. Karte des gravimetrischen Horizontalgradienten mit den wesentlichen Parametern Achse und Flanken der Grabenstätt-Rinne, dazu eingezeichnet die Achse der sogenannten „Tüttensee-Molassesenke“ (Huber). Die starke lokale, ringförmige Anomalie des Tüttensee-Kraters hat mit den großen Molassestrukturen nicht das geringste zu tun.

— In Abb. 3 sind für die Profillinie der Abb. 1 die jeweiligen Querschnitte für die Grabenstätt-Rinne und die sogenannte „Tüttensee-Molassesenke“ eingezeichnet. Man erkennt a) noch einmal, dass die beiden Strukturen nichts miteinander zu tun haben, und b) dass sie sich in ihren Eintiefungen um nahezu eine ganze Größenordnung unterscheiden. Um es auf die Meeresgeologie zu übertragen: Es hieße, die Tiefe der Ostsee neben die Tiefe des Mittelmeeres zu stellen.

Abb. 3. Die Profile (entlang der Linie in Abb. 1) für die Grabenstätt-Rinne und die sogenannte Tüttensee-Molassesenke (Huber) belegen, dass die beiden Strukturen nichts miteinander zu tun haben. Die Tiefen  für die Grabenstätt-Rinne sind der Abb. 9 in Ernstson (2005) entnommen.

— Aussage Huber: Durch den Prozess der Subtraktion von gemessenem und Regionalfeld „wird das Feld der Tüttensee-Molassesenke überproportional stark gewichtet und es zeigt sich eine ringförmige Schwereanomalie (siehe Ernstson Abb. 7).“ (Zitat).

Diese Aussage belegt, dass sich Huber der Sinn gravimetrischer Untersuchungen und Vorgehensweisen offenbar bisher nicht erschlossen hat. Was mit einer überproportionalen Wichtung des Regionalfeldes gemeint ist und angeblich zu der ringförmigen Tüttensee-Anomalie geführt haben soll, bleibt vollkommen im Dunklen.

Was will uns Huber mit seinem Beitrag sagen? Die Aussage, dass sich in der Gravimetrie der Molasseuntergrund in Form der Grabenstätt-Rinne durchpaust, ist für jeden, dem die Gravimetrie etwas sagt und der den Artikel von Ernstson (2005) mit Verstand gelesen hat, aufgrund der Dichtedifferenzen selbstverständlich. Aber das hat mit der überlagerten kleinen lokalen Schwereanomalie des Tüttensee-Kraters mit den ringförmigen starken Gradienten nichts zu tun.

Es bleibt der Schluss, dass der Beitrag von Huber dem Leser suggerieren soll, dass die Ergebnisse der Gravimetrie im Bereich des Tüttensees nichts Besonderes seien. Allerdings gibt das Sinn vor dem Hintergrund, dass im Artikel von Ernstson (2005) explizit ausgeführt wird, dass die Ergebnisse der Gravimetrie mit der Annahme eines Toteiskessels nicht vereinbar sind. Im Gegenteil sprechen sie für einen Meteoriteneinschlag, bei dem es zu einer Schockverdichtung um den Tüttensee-Krater herum gekommen ist, was die Gravimetrie wunderbar aufzeigt.

Im Bezug auf den Huber-Beitrag möge der Leser selbst über diese Art Wissenschaft urteilen.

Literatur:

Ernstson, K. (2005): Gravimetrische Untersuchungen bei Grabenstätt: Anzeichen für einen Impaktursprung des Tüttensee-Kraters (Chiemgau-Impakt) erhärtet. Link. 

Huber, R. (2011): Die Molasse unter dem Tüttensee. http://chiemgauimpact.blogspot.com/

Papadeas, G. (1972): Hydrogeologie und Hydrochemie des Chiemsee-Traun-Gebietes mit quartärgeologischen Spezialuntersuchungen. Technische Universität München. 119 pp.