… oder „Requiem“ für die Ablehnung der Hypothese?
YDB steht für (englisch) Younger Dryas Boundary. Die Jüngere Dryas-Zeit (oder auch nur die Jüngere Dryas) steht in der Erdgeschichte für eine scharf einsetzende Kälteperiode von etwa 1000 Jahren in der Zeit zwischen grob 11000 und 10000 v. Chr. und für das Ende des Pleistozän (der „Eiszeit“).
Die Ursachen dieses Ereignisses sind umstritten und werden konventionell in Zusammenhang mit einer Störung der Nordatlantik-Zirkulation gesehen. Im Jahr 2007 erregte eine neue Hypothese Aufsehen (vor allem mit dem Namen Richard Firestone verknüpft), nach der ein gewaltiger Impakt von Fragmenten eines Asteroiden oder Kometen über Nordamerika/Kanada zu dem plötzlichen Wechsel mit einhergehenden ausgedehnten Waldbränden, Artensterben (darunter zahlreiche Großsäuger), Destabilisierung des Eisschildes und dem Ende der steinzeitlichen Clovis-Kultur geführt haben soll. Mehrere unabhängige Gruppen publizierten in der Folgezeit stützende Befunde.
Aber wie in diesem Bereich der Geowissenschaften nicht anders zu erwarten, waren die Widerstände enorm, und in der Folgezeit waren viele wissenschaftliche Arbeitsgruppen vor allen Dingen damit beschäftigt zu zeigen, dass diese Vorstellung NICHT richtig sein könne. Diese ablehnenden Arbeiten gipfelten schließlich in einer Veröffentlichung im vergangenen Jahr:
The Younger Dryas impact hypothesis: A requiem
der Autoren Nicholas Pinter, Andrew C. Scott, Tyrone L. Daulton, Andrew Podoll, Christian Koeberl, R. Scott Anderson, Scott E. Ishman
in der Zeitschrift Earth-Science Reviews, Vol. 106, 247-264.
Es mag dahingestellt sein, ob man einen solchen „Requiem“-Titel für einen wissenschaftlichen Artikel für geschmackvoll hält – seit wenigen Tagen ist ein neues Kapitel in der Diskussion aufgeschlagen, und man ist versucht, von einem möglichen Requiem für das Requiem zu sprechen. In der renommierten Zeitschrift
Proceedings of the National Academy of Science of the United States of America (PNAS)
erschien der Artikel
Very high-temperature impact melt products as evidence for cosmic airbursts and impacts 12,900 years ago [Impakt-Schmelzprodukte sehr hoher Temperaturen belegen kosmische Luftdetonationen (Airbursts) und Impakte vor 12 900 Jahren]
der Autoren
Ted E. Bunch, Robert E. Hermes, Andrew M.T. Moore, Douglas J. Kennett, James C. Weaver, James H. Wittke, Paul S. DeCarli, James L. Bischoff, Gordon C. Hillman, George A. Howard, David R. Kimbel, Gunther Kletetschka, Carl P. Lipo, Sachiko Sakai, Zsolt Revay, Allen West, Richard B. Firestone, and James P. Kennett, aus einer Reihe z.T. hochangesehener wissenschaftlicher Institute,
der HIER heruntergeladen werden kann.
Der Artikel beschreibt die Funde und Analysen von Mikrosphärulen und schlackeähnlichen Objekten von insgesamt 18 verschiedenen Orten mit datierten YDB-Horizonten in Nordamerika, Europa und Asien. Die Entstehung dieser Partikel, die weder unterhalb noch oberhalb des Horizontes in dieser Konzentration auftreten, kann nach den Autoren weder durch menschlichen Eintrag, Vulkanismus, geologische Prozesse an Ort und Stelle oder primär kosmische Anlieferung erklärt werden. Stattdessen bleibt als einzige Erklärung eine Ablagerung als Ejekta durch extraterrestrische Impakte, wobei die riesige Verbreitung mit multiplen Projektilen verträglich ist.
Mit ziemlicher Sicherheit ist das nicht das letzte Kapitel der Diskussion über die YDB, aber es zeigt sich, wie kurzlebig Wissenschaft sein kann und wie manchmal vorschnell ein Requiem zelebriert wird.
Wir erinnern uns darüber hinaus an die heftigsten wissenschaftlichen Auseinandersetzungen und Fehden im Zusammenhang mit dem Massensterben (darunter die Dinosaurier) an der Kreide-Tertiärgrenze und der neuen Idee von Alvarez und Mitarbeitern über die kosmische Katastrophe als Auslösefaktor (der Chicxulub-Impakt). Auch damals argumentierten viele Gruppen gegen die neue Hypothese (die heute allgemein akzeptiert ist) mit FEHLENDEN Befunden in ihren untersuchten Schichten, wobei insbesondere viele Paläontologen von Prof. Alvarez immer wieder darauf hingewiesen werden mussten, dass z.B. fehlende Fossilien KEIN Datierungsmerkmal seien und sich kaum für eine Argumentation eignen.
In der Wissenschaft ist es nun mal so, dass fehlende Befunde grundsätzlich wenig Überzeugungskraft besitzen. Überzeugend sind positive Befunde, sofern sie mit dem gegenwärtigen Stand der Wissenschaft konform gehen.
Um den Chiemgau-Impakt nicht ganz außen vor zu lassen: Die Kurzlebigkeit von Behauptungen in der Wissenschaft haben wir exemplarisch im Zusammenhang mit der Ausstrahlung des Terra-X-Films des ZDF über den Chiemgau-Kometen im Jahr 2006 erlebt. Nach der Ausstrahlung hieß es aus dem Institut für Planetologie in Münster (Prof. Jessberger) lautstark und sinngemäß: „Über Kometen wissen wir alles.“ Nur wenige (!) Monate später war von NASA-Spezialisten nach der Rückkehr von Proben der Stardust-Mission zu hören und zu lesen: Wir stehen vor einem Paradigmenwechsel in der Kometenforschung; wir müssen völlig neu darüber nachdenken, woher die Kometen kommen und wie sie zusammengesetzt sind.