Chiemgau-Impakt – ein neuer Artikel: Jörg Völkel, Andrew Murray, Matthias Leopold, and Kerstin Hürkamp: Colluvial filling of a glacial bypass channel near the Chiemsee (Stöttham) and its function as geoarchive. – Zeitschrift für Geomorphologie (Annals of Geomorphology), 56(3), 371-386, 2012.

Archäologische Ausgrabung Chieming-Stöttham – Kommentar zu einem jüngst erschienenen Artikel

von Chiemgau Impact Research Team (CIRT)

Zusammenfassung. – Auf Veranlassung des Bayerischen Landesamtes für Denkmalpflege (BLfD) wurde die archäologische Ausgrabung Stöttham, bei der eine eingeschaltete geologische Schicht mit den Merkmalen einer katastrophalen Ablagerung eines meteoritischen Impaktes freigelegt wurde, mit einer Untersuchung des Wissenschaftszentrums Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt der Technischen Universität München begleitet. In dem jetzt dazu erschienenen Artikel wird der Aufschluss weitestgehend aus Sicht der Geomorphologie und Bodenkunde beschrieben und interpretiert. Die eindeutigen Impaktmerkmale des eingeschalteten diamiktitischen Horizontes mit dem Auftreten von typischen Gesteinsdeformationen und Schockeffekten werden vollkommen ignoriert, dennoch die Schlussfolgerungen gezogen, dass es keinen Hinweis auf das Impaktereignis gäbe. Die vorliegende Diskussion erinnert an den Ablauf der Ereignisse, erörtert die wesentlichen Unzulänglichkeiten der von Völkel et al. publizierten Arbeit und kommt zum Schluss, dass der Artikel einem wissenschaftlichen Anspruch nicht gerecht wird.

Abstract: – At the behest of the Bavarian State Office for Monument Preservation (BLfD) the archeological excavation at Stöttham near Lake Chiemsee, which exposed an intercalated geological layer with all evidence of a catastrophic deposition in a meteoritical impact event, was accompanied by a study performed by Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt der Technischen Universität München [Science Center of Nutrition, Land Use and Environment, Technical University of Munich, at Weihenstephan]. In the now published article the exposure is most widely described and interpreted from a geomorphological and soil science perspective while the unambiguous impact features implying the typical heavy rock deformations and shock metamorphism (shock effects) are completely ignored. Nevertheless, the authors conclude that there are not any indications of an impact event. Here, we remind of the progress of events, discuss the major shortcomings of Völkel et al.’s article, and conclude that it doesn’t meet scientific requirements.

1 Einführung

Im Zuge von Ausschachtungsarbeiten für einen Hausbau in Chieming-Stöttham wurde im Jahr 2007 eine begleitende archäologische Ausgrabung vorgenommen (Möslein 2009). Während der Arbeiten einer privaten Archäologie-Firma wurde durch einen zufällig anwesenden Mitarbeiter des CIRT (W. Mayer) eine sehr auffällige Schicht in der Grabungswand entdeckt (Abb. 1), die dem ausgrabenden Archäologen bis dahin nicht aufgefallen war. W. Mayer als erfahrener Heimatforscher und Amateurarchäologe erkannte rasch die Besonderheit der Ablagerung, die überhaupt nicht in den archäologischen Kontext passte (Abb. 2), und initiierte eine sehr gründliche geowissenschaftliche Untersuchung und Aufnahme durch dem CIRT verbundene Geologen und Bodenkundler. Ein darüber verfasster Bericht (Neumair 2008) wurde der Gemeinde Chieming bereits im September 2008 überreicht, dem später Ausführungen in verschiedenen Publikationen folgten (Neumair et al. 2010, Ernstson et al. 2010, Rappenglück et al. 2010, Liritzis et al 2010). Nach anfänglich sehr gutem Einvernehmen zwischen dem ausgrabenden Archäologen und den Forschern vom CIRT erlosch die Kommunikation plötzlich, und die Ausgrabungen der Archäologie wurden fortan ohne jegliche geologische Beratung fortgeführt. Im Jahr 2008 erhielt J. Völkel, Wissenschaftszentrum Weihenstephan für Ernährung, Landnutzung und Umwelt der Technischen Universität München, vom BLfD den Auftrag, die archäologische Ausgrabung Stöttham mit Untersuchungen zu begleiten.

Archäologische Ausgrabung Chieming Stöttham Katastrophenschicht Impaktschicht

Abb. 1. Während der archäologischen Ausgrabung gemachte Aufnahme der Impakt-Schicht.

Archäologische Ausgrabung Chieming Stöttham Diamiktit Brekzie Katastrophenschicht Impaktschicht

Abb. 2. Nahaufnahme des Diamiktits von Abb. 1. Man beachte das völlig unsortierte bunte Gemisch aus  Geröllen und scharfkantig, meist intensiv zerbrochenen Komponenten. Der von Völkel et al. (2012) behauptete Bestandteil einer mehr oder weniger kontinuierlichen kolluvialen Füllung einer holozänen Rinne kann nicht nachvollzogen werden.

2 Die Geländearbeiten von Völkel et al.

Die Geländearbeiten mit Probennahme der Gruppe Völkel erstreckten sich auf wenige Tage. Während dieser Zeit waren Forscher des CIRT mit eigenen Untersuchungen vor Ort; einem Austausch von Gedanken und einer Diskussion der geologischen Lagerungsverhältnisse und des postulierten Impaktes, wie es in solchen Fällen guter wissenschaftlicher Brauch wäre, gingen Völkel et al. aus dem Wege.

Zu den Arbeiten der Gruppe Völkel gehörte auch eine geoelektrische Messkampagne mit einer Electrical Imaging-Widerstandskartierung am Rand einer Grabungswand und über Aushubschüttungen unter Einsatz einer sehr aufwändigen Multielektrodenapparatur. Dem Hinweis des CIRT-Geophysikers, dass ein solches Vorgehen methodisch wenig Sinn mache und zu nichtssagenden Resultaten führen würde, wurde von den Bodenkundlern keine Beachtung geschenkt. Was aus den Messergebnissen geworden ist, erschließt sich nicht; die Messungen werden in Völkel et al. (2012) nicht erwähnt.

3 Die Impakt-Schicht nach Untersuchungen des CIRT

Die Untersuchungen von Geologie, Petrographie und Impaktforschung treffen in der Katastrophenschicht gerundete, zertrümmerte und extrem korrodierte Gerölle (Abb. 3, Abb. 4) in tonig-schluffig, leicht sandiger Matrix an. Eingemischt finden sich zersplittertes Holz, Holzkohle, zerbrochene Knochen und Zähne, zerbrochene archäologische Objekte, darunter reichlich Keramikscherben, ferner Glas- und kohlige Sphärulen (Abb. 6). Hinweise auf sehr hohe Temperaturen liefern erhitzte Gesteine, stark erhitzte (Gold-) Glimmer (Abb. 5) sowie angeschmolzene Kieselkalke (Abb. 7) – ein bekanntes alpines Gestein. Auswirkungen extremer Drücke mit Signaturen von Schockeffekten (Schockmetamorphose) (Abb. 8, Abb. 9) werden in Schockschmelze führenden  Sandsteinfragmenten gefunden (Abb. 10, Abb. 11). Diaplektisches Glas als Folge hoher Schockdrücke in einem Quarzitgeröll mit sich ergebenden Fragestellungen zur OSL-Datierung der Stöttham-Ablagerungen werden von Liritzis et al (2010) erörtert.

Archäologische Ausgrabung Chieming Stöttham Diamiktit korrodierte Gerölle Säurefraß Karbonatschmelze

Abb. 3. Karbonatische und silikatische Gerölle mit z.T. extremer Korrosion durch Säure-/Hitzefraß.

Archäologische Ausgrabung Chieming Stöttham Diamiktit zersetzter Gneis Bronzeglimmer zerbrochener kohärenter Quarzit

Abb. 4. Extrem zersetzter Gneis mit Goldglimmern (Abb. 5) und ein stark fragmentierter Sandstein, der seine Kohärenz bewahrt hat, was ein Beweis für einen starken Umschließungsdruck bei der Einbettung in den Diamiktit ist.

Archäologische Ausgrabung Chieming Stöttham Katastrophenschicht Impaktschicht Bronzeglimmer erhitzt

Abb. 5. Stark erhitzter (auf vermutlich > 800 °C) Glimmer, der Goldfärbung angenommen hat.

Archäologische Ausgrabung Chieming Stöttham Diamiktit Sphärule Glas

Abb. 6. REM-Aufnahme einer aufgebrochenen Glassphärule aus dem Diamiktit von Stöttham.

Archäologische Ausgrabung Chieming Stöttham Diamiktit Brekzie angeschmolzener Kieselkalk

Abb. 7. Anschnitt eines rundum angeschmolzenen Kieselkalks aus dem Diamiktit von Stöttham.

Archäologische Ausgrabung Chieming Stöttham Diamiktit planare Deformationsstrukturen PDFs

Abb. 8. Schockeffekt: Mehrere Scharen planarer Deformationsstrukturen (PDFs) in Quarz aus einem Sandstein im Diamiktit von Stöttham.

Archäologische Ausgrabung Chieming Stöttham Diamiktit Brekzie zwei konjugierte Scharen von Knickbändern in Glimmer Muskovit

Abb. 9. Schockeffekt: Mehrere Scharen von Knickbändern in Hellglimmer.

Archäologische Ausgrabung Chieming Stöttham Chiemgau Impakt Diamiktit Brekzie geschockter Sandstein mit Schmelze

Abb. 10. Stark geschockter Sandstein von Stöttham mit Schockschmelze auf Rissen im Inneren des Gesteins (Abb. 11).

Archäologische Ausgrabung Chieming Stöttham Chiemgau Impakt Diamiktit Brekzie Schockschmelze

Abb. 11. Glasbildung als Folge von Schockschmelze, die unter gekreuzten Polarisatoren schwarz erscheint.

Diamiktite können von einer ganzen Reihe geologischer Prozesse produziert werden, wie sie z.B. bei Neumair et al. (2010) zitiert werden. Nach dem gegenwärtigen Stand der Forschung sind solche Befunde, wie sie im Aufschluss der Grabung Stöttham angetroffen werden, allerdings allein mit den Auswirkungen eines meteoritischen Impaktereignisses verträglich.

4 Die Impaktschicht von Stöttham und der Artikel von Völkel et al.

Wie dem Artikel von Völkel et al. (2012) unschwer zu entnehmen ist und bereits im Abstract nachvollzogen werden kann, geht es den Autoren weitestgehend darum, mit ihren Untersuchungen den postulierten Impakt und seine Auswirkungen im Bereich von Chieming-Stöttham zu widerlegen. Zuallererst würde man erwarten, dass alle wesentlichen Publikationen der Verfechter des Impaktes, die allesamt mit wenig Aufwand sogar im Internet aufgerufen werden können, zitiert werden. Das ist nicht der Fall. Das Weglassen von Arbeiten, z.B. die speziell Stöttham behandelnde Arbeit von Neumair et al. (2010) sowie insbesondere das Unterschlagen des umfangreichen und umfassenden Artikels über den Chiemgau-Impakt von Ernstson et al. (2010), ist einfach schlechter wissenschaftlicher Stil. In einem anderen Fall wird mit Bezug auf den Artikel von Huber & Götz (2010) zu den sogenannten Furchensteinen ein Sachverhalt falsch zitiert: Der Artikel betrifft Furchensteine vom Chiemsee und nicht, wie bei Völkel et al. behauptet, Karbonatgerölle im Boden mehrere hundert Meter vom Ufer entfernt.

Insgesamt handelt es sich bei Völkel et al. um eine rein geomorphologisch-bodenkundliche Arbeit, die nur ansatzweise versucht, die für diesen Standort notwendige interdisziplinäre Betrachtung anzuwenden (z. B. Geologie, Archäologie). Daraus resultieren Aspekte, die zu fehlerhaften Schlussfolgerungen führen. Dazu gehört bei der chemischen Analyse der weitestgehende Verzicht auf eine Karbonatbestimmung im Boden, wobei der Kohlenstoffgehalt dann als organisches Material behandelt wird ohne Berücksichtigung der tatsächlichen Schichtung. Zu bemängeln ist ferner, dass auch „echtes“ organisches Material in Form von Zähnen und Knochenresten und deren stark zerstörter Zustand nicht ausreichend beschrieben wird.

Für den Leser verleitet die Tabelle 1 zu Fehlbeurteilungen, da die Proben nur der Tiefe nach sortiert sind, aber aus völlig unterschiedlichen Profilen, die nicht oder nicht ausreichend dargestellt sind, stammen.

Weiter werden die Bodenproben im Feinmaterial beschrieben, wobei den Autoren – vielleicht aus Unkenntnis der o. g. Literatur – völlig entgangen ist, dass hier auch Sphärulen und andere nicht gerade typische Bestandteile bereits beschrieben wurden.

Ratlos lässt auch das bei Völkel et al. beschriebene Szenario, dass eine Pflasterung ohne vernünftigen Unterbau (Straße ?) in einer Rinne vor rund 2000 Jahren ohne Probleme über 1000 Jahre benutzt wurde und unmittelbar daneben (!) eine gleichmäßige Ablagerung von Bodenmaterial erfolgte.

Herausgestellt werden soll hier aber insbesondere, dass Völkel et al. ausschließlich den allenfalls 300 m² großen Aufschluss Stöttham untersucht haben und jegliche Einordnung in einen räumlichen Zusammenhang vermissen lassen. Gleichzeitig machen die Autoren aber Aussagen über einen weit größeren Raum, indem der Impakt negiert wird. Das entspricht häufig anzutreffender Vorgehensweise, dass einzelne Standorte angesehen werden, ohne dass die größere Fläche in Betracht gezogen wird und ohne alle auftretenden Phänomene abwägend einzubringen.

5 Schlussfolgerungen

Die Ausführungen im Artikel von Völkel et al. belegen eine Sichtweise der Situation in der Ausgrabung Stöttham von Geomorphologen/Bodenkundlern, die den geologischen „Gehalt“ des Aufschlusses nicht verstanden haben oder ihn bewusst nicht berücksichtigen wollten. Das betrifft insbesondere die unübersehbaren Merkmale eines geologischen Diamiktites mit darüberhinaus allen Befunden extremer Zerstörung, extremer Temperaturen und extremer Drücke einschließlich nachgewiesener Schockeffekte. Uns ist nicht bekannt, dass die Autoren jemals über Impaktgeologie oder überhaupt über Impaktphänomene gearbeitet haben. Daraus wird  ihnen kein Vorwurf gemacht. Der Hauptvorwurf, der den Autoren zu machen ist, besteht darin, dass sie es nicht für nötig gehalten haben, die ihnen fehlende Kenntnis und Erfahrung zur Impaktgeologie, die in der Forschergruppe des CIRT vorhanden ist, zu nutzen. Stattdessen wird aus dieser entsprechend beschränkten Sichtweise heraus etwas postuliert, was selbst bei rascher Beschäftigung mit der Materie nicht haltbar ist. Einem wissenschaftlichen Anspruch wird ein solches Vorgehen nicht gerecht.

Literatur 

Ernstson, K., Mayer, W., Neumair, A., Rappenglück, B., Rappenglück, M.A., Sudhaus, D., Zeller, K. (2010): The Chiemgau Crater Strewn Field: Evidence of a Holocene Large Impact Event in Southeast Bavaria, Germany – Journal of Siberian Federal University Engineering & Technologies 1, (2010 3), 72-103.

Huber, R. & Götz, S. (2010): Die Chiemsee Furchensteine: Wie aus Bioerosion eine Katastrophe wird. – Zitteliana 29: 51

I. Liritzis, N. Zacharias, G.S. Polymeris, G. Kitis, K. Ernstson, D. Sudhaus, A. Neumair, W. Mayer, M.A. Rappenglück, B. Rappenglück (2010): The Chiemgau meteorite impact and tsunami event (Southeast Germany): First OSL dating. – Mediterranean Archaeology and Archaeometry, Vol. 10, No. 4, pp. 17‐33.

Möslein, S. (2009): Bericht an die örtlichen Behörden.

Neumair, A. (2008): Bericht zur Geologie und Petrographie an der Grabung Stöttham.

Neumair, A.,  Ernstson. K., Mayer, W., Rappenglück, B., Rappenglück, M.A., Sudhaus, D. (2010): Characteristics of a Holocene Impact Layer in an Archeological Site in SE-Bavaria, Germany – URL: http://impact-structures.com/news/Stoettham_c.pdf.

Rappenglück, B., Rappenglück, M., Ernstson, K., Mayer, W., Neumair, A., Sudhaus, D., Liritzis, I. (2010): The fall of Phaeton: a Greco-Roman geomyth preserves the memory of a meteorite impact in Bavaria (Southeast Germany) – Antiquity, Volume 84, 428-439 (2010).