Der Chiemgau-Impakt, E.F.F. Chladni und das Bayerische LfU

CIRT (2013): Buchbesprechung „Nicht von dieser Welt – Bayerns Meteorite“. Hg.: Bayerisches Landesamt für Umwelt, 126 Seiten, 2012. 19,00 EUR.

Das bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) hat Ende 2012 anläßlich der gleichnamigen Sonderschau bei den Mineralientagen München 2012 das Buch „Nicht von dieser Welt – Bayerns Meteorite“ herausgegeben. 

Ein äußerlich schönes, aufwändig gestaltetes Buch zum Thema Meteorite in Bayern, deren Fall beobachtet wurde. Zahlreiche Abbildungen, darunter auch historische Darstellungen und Handschriften, runden diesen Eindruck ab. Der Teil, der sich mit den 8 gesicherten und 10 weiteren, vermuteten oder vermeintlichen Meteoritenfällen beschäftigt, bringt etliche Informationen unter anderem zu Lokalitäten, Augenzeugenberichten (bei Fällen vor 1819 häufig schon von CHLADNI [s. u.] beschrieben, der auch zitiert wird) und zu den (soweit noch vorhandenen) Meteoriten selbst, wobei der Text manchmal vom Sachlichen schon sehr ins Saloppe fällt. Zusätzlich wird noch das bekannte Nördlinger Ries beschrieben, was durchaus von dieser Welt ist. Ergänzt wird die Darstellung durch Kapitel, die sich mit Meteoriten allgemein, deren Zusammensetzung, Alter und Entstehung beschäftigen, sowie mit der (spekulativen) Zuordnung der bayerischen Meteoriten zu Asteroiden.

Wer sich für die Historie und Eigenschaften der bayerischen Meteoriten interessiert, der wäre mit der Hälfte des ca. 130 Seiten starken Buches gut bedient. Zum Ries-Krater gibt es bereits eine große Menge an Literatur – auch für den Laien, und in dem ebenfalls jüngst erschienenen Buch „Meteorite“, das von den Fachwissenschaftlern Schultz und Schlüter geschrieben und für eine breite Öffentlickeit ausgearbeitet wurde, erhält der Leser bei ebenbürtiger Gestaltung  wesentlich gründlichere Informationen.

Schwachpunkte des LfU-Buches, besonders fachlicher Art, sind dergestalt, dass man die Frage stellt, ob die Autoren tatsächlich vom Fach sind oder eher nicht, da der neuere Stand der Forschung teilweise unbekannt zu sein scheint. Ein paar Beispiele hierfür sind:

— Im Kapitel „Wenn Steine vom Himmel fallen“ werden Kometen noch ganz allgemein als „schmutzige Schneebälle“ bezeichnet, zusammengesetzt aus gefrorenen Gasen, Wassereis und Staub. Dies entspricht nicht mehr den heutigen Erkenntnissen. Tatsächlich werden schon seit längerem Kometen „eisige Schmutzbälle“ genannt (siehe hier z. B. den NASA-Bericht  http://www.jpl.nasa.gov/news/news.php?release=2012-349), da der Gehalt an Staub bzw. steinigem/ metallischem Material wesentlich größer ist als bisher vermutet wurde.

— 1775 fiel ein Meteorit bei Bad Rodach, der bereits zu CHLADNIs Zeiten (vor 1819, s. u.) verschollen war. In Coburg wurde laut LfU-Buch vor ca. 10 Jahren bei Aufräumarbeiten ein Stein gefunden, auf den die Beschreibung genau passte und der mit einem alten, unleserlichen Etikett versehen war. Nachdem eine Analyse des Materials deutliche Kupfergehalte ergab, wurde auf allein dieser Basis ein meteoritischer Ursprung des gefundenen Materials verworfen und zu anderen Eigenschaften dieses Steins gar nicht Stellung genommen. Das entspricht nicht mehr heutigen Vorstellungen, die solch simple Einstufungen verlassen haben und davon ausgehen, dass im Weltraum alles nur Denkbare vorhanden sein könnte, wie in folgender NASA-News zu lesen ist:  http://www.jpl.nasa.gov/news/news.cfm?release=2010-283&cid=release_2010-283 . Dazu gehören auch deutliche Kupfergehalte, da Kupfer in Meteoriten, im Coburger Fall ein vermuteter Chondrit, sowohl gebunden als auch nicht selten in metallischer Form vorkommt, wie ein wissenschaftlicher Artikel von 1994 feststellt: http://adsabs.harvard.edu/full/1994Metic..29…93R.

— Für das sogenannte Feuerkugelnetzwerk zur Erfassung von Meteor(oid)en wird eine Typisierung verschiedenartig erscheinender Meteor(oid)e beschrieben. Seltsamerweise gibt es im Buch keine Erklärung dafür, warum in dieser Typisierung Eisenmeteorite nicht genannt werden, die bekanntermaßen auch Leuchterscheinungen bzw. eine Feuerkugel erzeugen, wie am Beispiel Sikhote Alin (Fall 1948) bezeugt ist.

— Im Kapitel „Wann fällt uns der Himmel auf den Kopf?“ wird behauptet, dass ein Ereignis wie das Ries (mit im Buch angenommenen 1,5 km Durchmesser des Projektils) statistisch ca. alle 500.000 Jahre eintritt – leider ohne Quellenangabe. Ein neuerer Artikel (Elements 2012, Vol. 8, February, S. 55-60) gibt für diese Größe allerdings 1.000.000 Jahre an, also statistisch nur halb so häufig!

Dies hinterläßt den Eindruck, dass die Autoren sich besser in staubigen Archiven auskennen als in der neueren Fachliteratur und dass Internet-Recherche fast ein Fremdwort für sie ist. Auch die uneinheitliche Zitierweise, wenn vorhanden, vermittelt keinen geübten Umgang mit wissenschaftlichen Quellen.

Die gravierendsten Mängel finden sich im Kapitel „Es ist nicht alles Meteorit, was glänzt“. Allein der Titel ist schon unzutreffend. Er ist zwar griffig, aber unverletzte Meteorite am Boden glänzen nicht (zumindest nicht, wenn sie trocken sind), erst recht nicht, wenn die Verwitterung eingesetzt hat. Die Thematik in diesem Buchabschnitt, die auch speziell den Chiemgau-Impakt betrifft, wird HIER ausführlich kommentiert.

Es ist bemerkenswert, dass sich seit rund 200 Jahren ein nahezu unverändertes Bild in der Meteoriten-/Impaktforschung, vor allem auch am Beispiel des Chiemgau-Impaktes, zeigt: Neue wissenschaftliche Erkenntnisse sickern nur sehr langsam in die etablierte akademische wie auch in die behördliche Meinung ein, zum Teil gegen heftigen Widerstand, wie schon CHLADNI erfahren musste. Ernst Florens Friedrich Chladni, ein deutscher Physiker und Astronom, gilt als Mitbegründer der modernen Meteoritenforschung und wurde anfangs wegen seiner Meinung zur außerirdischen Herkunft der Meteorite lächerlich gemacht.

Ein Auszug aus der Vorrede seines 1819 erschienen Werks  „Ueber Feuer-Meteore und über die mit denselben herabgefallenen Massen“ (in Originalschreibweise) sollte zu denken geben:

„… Es liegt auch nicht viel daran, zu wissen, wie dieser oder jener sich die Sache vorstellt, wohl aber zu wissen, was beobachtet worden ist, und was aus den Beobachtungen, mit Zuziehung bekannter Naturgesetze, auf die einfachste und natürlichste Art folgt. Hierbey kommt auch gar nichts darauf an, ob eine Behauptung alt oder neu ist, oder auch, ob sie Manchem, der in seinen einmahl gefaßten Vorstellungen nicht gern etwas abändert, und alles auf einen gar zu engen Kreis zu beschränken geneigt ist (a), etwa gar zu paradox vorkommen möchte. Jeder Satz, der etwas zur Vermehrung unserer Kenntnisse beigetragen hat, war einmahl zu irgendeiner Zeit etwas Ungewöhnliches oder Paradoxes, und mußte also Manchem zum Anstoß gereichen; hätte man also immer bey dem Gewöhnlichen wollen stehen bleiben, so wären alle menschlichen Kenntnisse und Einrichtungen noch in dem Zustande der ersten Kindheit oder Rohheit, oder wären wenigstens sehr langsam vorwärts geschritten.

(a) Viele, denen es sonst nicht an Einsichten fehlt, haben eine besondere Scheu dafür, sich so manches im Weltall so groß zu denken, als es wirklich ist, und überhaupt sich die Dinge in ihrer wahren verhältnismäßigen Größe oder Kleinheit vorzustellen. Viele möchten auch gar gern unsern gegen so viele andere Weltkörper sehr kleinen Erdball (und vielleicht auch auf diesem ihr liebes Ich) als das Wichtigste im Weltall ansehen, um dessentwillen alles Uebrige da ist, und worauf sich alles bezieht. Solche müßten eigentlich, wenn sie recht consequent seyn wollen, Anhänger des ptolomaischen oder des tychonischen Systems seyn und bleiben. Wirklich habe ich auch vor vielen Jahren zwey sonst verständige Männer gekannt, die physikalische und mathematische Kenntnisse hatten, oder zu haben glaubten; von denen aber der Eine dem ptolomaischen, der Andere den tychonischen Welt-Systeme mit sehr vielem Eifer anhing, weil sie, wie vormahls Galilei´s Gegner, es für äußerst sündlich und verderblich hielten, wenn man annähme, daß die Erde sich bewege. Beyde gaben sich alle Mühe, um mich von ihrer Meinung zu überzeugen; ich antwortete ihnen aber, mir käme das, wenn man nur noch einen Schritt weiter in das Kleine gehen wollte, ungefähr so vor, als ob, wenn ein Hase gebraten würde, man annehmen wollte, daß nicht etwa der Hase nebst dem Spieße sich bewege, sondern daß die Küche nebst dem Feuer, so wie auch das ganze Haus, die Erde, und allenfalls auch das ganze Weltall sich um den Hasen drehe, damit er gebraten werde.“

Hasenbraten und die sich drehende Küche: Ob Chladni geahnt hat, dass noch 200 Jahre später ein (LfU-)Buch geschrieben würde, in dem moderne wissenschaftliche Forschung zu meteoritischen Impakten bei Marsmännchen angesiedelt wird?

Vor diesem Hintergrund müssen wir von der Empfehlung des Landesamtes am Beginn des Kapitels, das sich mit Marsmännchen befaßt, dringend und ernsthaft abraten, sich bei Fragen und Funden an das Landesamt zu wenden. Das Buch ist ein Beleg, dass den Autoren und augenscheinlich auch deren Beratern wissenschaftliche Methodik weitgehend fremd ist und Begutachtungen nach freiem Belieben erfolgen.

Schließlich stellt sich die Frage, ob dieses Buch tatsächlich mit der Aufgabenstellung für Beamte und Angestellte des Landesamtes für Umweltschutz, Abteilung Geologie, vereinbar ist und nicht besser von Historikern, Mitarbeitern der Öffentlichkeitsarbeit und echten Fachkräften verfasst worden wäre, ohne die aktuell laufenden Forschungen zu diskreditieren.