Chiemgau-Impakt – LfU und Wikipedia-Kritik

Der Chiemgau-Impakt: die irreführende Bohrung des LfU, die Internet-Diskussion und Wikipedia

oder: Wie Verfälschungen in der Wissenschaft funktionieren.

Im August 2010 erregte eine Pressemitteilung des geologischen Dienstes am LfU (Bayerisches Landesamt für Umwelt) einiges Aufsehen mit folgender Textüberschrift:

Neue Altersdaten: Kein „Kelten-Komet“ im Chiemgau“.  Die Pressemitteilung bezog sich auf eine Bohrung des LfU am Tüttensee, deren Bohrkerne mit der Radiokarbon-Methode datiert worden waren.

Der Leiter des geologischen Dienstes, Dr. Roland Eichhorn, berichtete von Proben von den Seeablagerungen am Kesselboden und wurde mit folgender Aussage  wiedergegeben: In einem halben Meter Tiefe war das Moor bereits 4.800 Jahre alt, ganz unten 10.000 und die Seeablagerung darunter sogar 12.500. Untersuchungen im benachbarten Chiemsee ergaben das gleiche Bild – wie im Tüttensee ruhige, ungestörte Seeablagerungen seit dem Ende der Eiszeit. Die Schlussfolgerung lautete, dass damit bewiesen sei, dass der Tüttensee ein Toteisloch sei und es niemals eine kosmische Katastrophe gegeben habe.

Gegen diese unglaubliche Darstellung erhoben wir von der Forschergruppe des CIRT sofort Einspruch wegen der verfälschenden Behauptung, dass die datierten Proben am Kesselboden (des Tüttensees) entnommen wurden. Tatsächlich stand die Bohrung am Uferrand. Aber auch da kam sofort unser Einwand, dass die Bohrung dort mit Blick auf die in der Impaktforschung  geltenden Erkenntnisse zur Meteoritenkrater-Bildung absolut deplaziert stand, um die Entstehung der Hohlform zu datieren (siehe weiter unten).

Daraufhin und mit Blick auf die vom CIRT schon immer vorgelegten, in der Forschung allgemein anerkannten Impaktbeweise (Schockeffekte, Auswurfmassen usw.) musste Dr. Eichhorn ziemlich zurückrudern, um im SPIEGEL online zu äußern, dass ja wohl trotzdem ein Impakt stattgefunden haben könnte, der dann aber irgendwann in der Eiszeit anzusiedeln sei. Aber auch damit musste Dr. Eichhorn seine völlige Unkenntnis über den Chiemgau-Impakt eingestehen: eine Datierung des Impaktes in die Eiszeit ist wegen der klar datierbaren archäologischen Funde in den Impakt-Katastrophenhorizonten ausgeschlossen.

All das hat nichts genützt und der Forschung letztlich immensen Schaden zugefügt. Denn: Unmittelbar nach der Presseveröffentlichung quoll das Internet über von Kommentaren der selbsternannten „Experten“ aus allen Berufs- und Tätigkeitsbereichen nur nicht aus den Impakt-Geowissenschaften, die hier nun ihren „Beweis“ hatten gegen den – aus welchen Gründen auch immer – schon immer heftig bekämpften Chiemgau-Impakt.

Die schlimmsten und folgenreichsten Auswüchse fanden sich dann bei Wikipedia. Wer immer versuchte, eine Richtigstellung mit Hinweis auf unsere fundierten und offiziell veröffentlichten Gegenargumente zu erreichen, wurde und wird mit dem Hinweis abgeschmettert, dass die LfU-Interpretation der Bohrung ja eine amtliche Aussage sei. Bis heute ist es nicht gelungen, gegen diese eindeutige Falschbehauptung auf Wikipedia, der Chiemgau-Impakt sei widerlegt, anzugehen, was mit einer offensichtlichen Parteinahme des Seitenadministrators zusammenhängt.

Hier zeigt sich ein drastisches Beispiel einer Fehlentwicklung bei Wikipedia, die auf diese Weise ihren Charakter einer neutralen Enzyklopädie „für alle“ einbüßt.

Da also nach wie vor obenan auf der Wikipedia-Seite zum Chiemgau-Einschlag steht, dass die Hypothese widerlegt sei, und weiterhin die selbsternannten „Experten“ sich in ihrer strikten Ablehnung des Impaktes darauf beziehen, wollen wir noch einmal die Dinge ins rechte Licht rücken, sprich: die Unsinnigkeit der LfU-Bohrung und die darauf aufbauenden verfälschenden Aussagen noch einmal deutlich machen, wobei wir die beiden entscheidenden Punkt ansprechen werden:

— Die Lage der Bohrung

— Die Interpretation der Altersdaten

Die Lage der Bohrung 

Die Bohrung wurde „in der östlichen Verlandungszone des Tüttensees […] auf dem Gebiet der Gemeinde Vachendorf“ (Zitat E. Kroemer vom LfU) abgeteuft; Koordinaten werden nicht angegeben.

tüttensee bohrung krater LfU

Abb. 1. Ungefähre Lage der LfU-Bohrung (roter Pfeil) am Tüttensee; genaue Koordinaten liegen nicht vor. Es ist ersichtlich, dass die Proben der Bohrung nicht am Kesselboden entnommen wurden, wie es Dr. Eichhorn vom LfU in der Presseerklärung fälschlich behauptet hat. Eingetragen in das Bild sind ferner die Berandung des morphologischen Kraters (gestrichelt die Wallkrone) und der schematisierte Umriss des wahren Kraters innerhalb des Tüttensees nach geophysikalischen Messungen (Gravimetrie, Seismik). Über die seismischen Messungen, die vom LfU an die Universität Jena in Auftrag gegeben wurden, werden wir hier demnächst berichten, da sie den Impakt-Ursprung des Tüttensees weiter belegen. – Perspektivische Aufnahme: Google Earth.

In dieser Lage deutlich am Ufer des Tüttensees ist die Bohrung aber völlig deplaziert, um das Alter der Entstehung der Hohlform zu ermitteln. Um das einzusehen, muss man etwas von Impakt-Geologie verstehen, was bei den für die Bohrung verantwortlichen Geologen des LfU ganz offensichtlich nicht der Fall war. Dazu zeigen wir in Abb. 2 das Beispiel des berühmten Meteor-Kraters (Barringer-Krater) in Arizona, USA.

Barringer-Krater fiktive LfU-Bohrung

Abb. 2. Der Meteor-Krater in Arizona und eine Nahaufnahme seines Kraterrandes – zur Verdeutlichung, wie unsinnig die Tüttensee-Bohrung des LfU platziert war (vergl. Abb. 1), um das Alter seiner Entstehung zu ermitteln. Fotos NASA und A. Dufter. 

Anhand von Abb. 2 sehen wir, dass die Gesteinsschichten unmittelbar am Kraterrand, selbst kratereinwärts vor dem aufragenden Ringwall, ihre Lagerung vollkommen beibehalten haben. Sie sind fast messerscharf abgeschnitten durch den Auswurf bei der Kraterbildung und leicht gegen das Kraterzentrum hin angehoben, aber ihre Altersstruktur ist völlig ungestört. Hätten die Geologen des LfU eine Bohrung am Meteor-Krater so platziert, wie sie es am Tüttensee getan haben, so hätten sie das Alter des Meteor-Kraters zu 260-240 Millionen Jahren bestimmt; tatsächlich war der Impakt aber erst vor 50 000 Jahren.

Beim Tüttensee-Krater kommt hinzu, dass wir dort beim Einschlag einen extrem weichen Untergrund voller Wasser hatten, was am Prinzip aber nichts ändert. Was dort etwa abgelaufen ist, zeigt die Bildfolge des Anhangs am Ende des Artikels.

Von den Geologen des LfU wird argumentiert, dass der datierte Torf durch den Einschlag enormem Einfluss von zerstörendem  Druck und hohen Temperaturen ausgesetzt gewesen sein muss, wovon sie in der Bohrung nichts bemerkt haben. Ironischerweise argumentieren sie damit für ihre völlige Ahnungslosigkeit von Impakt-Vorgängen.

— Erstens: Ihre Bohrung durchsticht mehr oder weniger wie ein Bleistift die Schichten im Untergrund vertikal, und die Bohrkerne verraten nichts darüber, wie es 20 cm daneben aussieht (was in der Geologie und bei den Baugrund-Ingenieuren sehr häufig vergessen wird). Die Schock-Ausbreitung ist bekanntlich (bei den Impakt-Geologen) ein streng nichtlinearer Prozess, d.h. die Auswirkungen können sich auf kürzester Strecke enorm verändern. 20 cm neben der Tüttensee-Bohrung könnte es theoretisch völlig anders aussehen als in ihr. Das ist aber sehr unwahrscheinlich; denn:

zweitens: Die Ausbreitung der Schockwellen vom Einschlagpunkt mehr oder weniger radial nach außen nimmt energetisch gesehen extrem rapide ab. Am Rand eines Impakt-Kraters ist der Druck soweit abgesunken, das er kaum noch was bewegt (siehe den Kraterrand vom Meteor-Krater, Abb. 2), und die Temperaturen der Schock-Druckentlastung dürften den Torf auf vielleicht milde 20°C erwärmt haben.

Dem und der Argumentation der LfU-Geologen ist nichts weiter hinzuzufügen.

 

Die Interpretation der Altersdaten

Das Ergebnis der LfU-Bohrung mit den Altersdaten sieht folgendermaßen aus, wobei sich die Graphik (Abb. 3) an den Bericht des LfU (Dr. Ernst Kroemer) sowie an den Artikel  von

Gerhard Doppler, Erwin Geiss, Ernst Kroemer & Robert Traidl: Response to ‘The fall of Phaethon: a Greco-Roman geomyth preserves the memory of a meteorite impact in Bavaria (south-east Germany)’ by Rappenglück et al. (Antiquity 84).

hält. Dieser Artikel der Autoren vom LfU wurde als Kommentar zum Artikel

RAPPENGLÜCK, B., M.A. RAPPENGLÜCK, K. ERNSTSON, W. MAYER, A. NEUMAIR, D. SUDHAUS & I. LIRITZIS. 2010. The fall of the Phaethon: a Greco-Roman geomyth preserves the memory of a meteorite impact in Bavaria (south-east Germany). Antiquity 84: 428–39

geschrieben und dazu benutzt, um aus Sicht der Geologen des LfU generell mit dem Chiemgau-Impakt abzurechnen.

Schauen wir uns nunmehr die Daten der Abb. 3 an und vergleichen sie mit der Aussage von

Gerhard Doppler, Erwin Geiss, Ernst Kroemer & Robert Traidl (übersetzt):

„Diese kontinuierliche und ungestörte Folge von Torf über Seesedimenten von 4800 bis 12 500 Jahre vor heute widerspricht klar der Existenz von Strukturen, die man bei einem 2500 Jahre alten Impakt-Krater erwarten sollte.“

Und genau hier liegt die eklatante Verfälschung durch die Geologen des Landesamtes, die in der Presseerklärung von Dr. Eichorn verkündet und von den Medien übernommen wurde sowie von den selbsternannten „Experten“ und Gegnern des Impaktes bis heute immer wieder nachgeplappert wird: Der Befund der Bohrung sagt nichts anderes, als dass sie überhaupt erst ca. 2000 (!) Jahre VOR dem Impakt das erste Alter mit 4500 Jahren vor heute liefert (Abb. 3). Nicht nur dass – wie oben beschrieben – die Bohrung völlig deplaziert steht und  die erbohrten Schichten vom Impakt praktisch nichts mitbekommen haben können, verschweigt sie völlig, was überhaupt in den letzten 4500 Jahren am Tüttensee passiert ist. Einen halben Meter von zersetztem, offenbar nicht datierbarem Torf trifft sie oben an. Ist genau DAS der dünne Horizont, der beim Chiemgau-Impakt sozusagen übrig geblieben ist? Datiert uns die Bohrung des LfU nicht geradezu perfekt ein nacheiszeitliches Ereignis am Tüttensee, das jünger als 4500 Jahre vor heute ist?

bohrung lfu Datierung

Abb. 3. Das Ergebnis der LfU-Bohrungen nach den allgemein zugänglichen Veröffentlichungen.

Dennoch wollen wir diese Bohrung nicht für unser Vorstellungen zum Chiemgau-Impakt instrumentalisieren.Wir haben schon längst hinreichend viele Beweise für die Impaktentstehung des Tüttenseekessels und die Datierung dieses Ereignisses auf unseren Webseiten und in Fachzeitschriften detailliert dokumentiert, so dass an diesem außergewöhnlichen Szenario der bayerischen Geologie kein Zweifel sein kann.

Wir wollen in Erinnerung rufen, dass die Bohrung ein Zeugnis ablegt für das Unvermögen dieser Geologen vom LfU, in diesem Zweig der geologischen Forschung wissenschaftlich korrekt zu arbeiten. In diesem Zusammenhang haben wir bereits an anderer Stelle die Frage aufgeworfen, ob es zum Dienst- und Aufgabenbereich von Beamten (hier: des LfU) gehört, sich massiv in Belange der wissenschaftlichen Forschung einzumischen und bei Disputen Partei zu ergreifen. Schon gar nicht sollten sie sich anmaßen, ein “richtig” oder “falsch” in der Wissenschaft zu beurteilen.

 

ANHANG 

Die nachfolgenden Bilder (alle Darstellungen schematisch und nicht maßstabsgetreu) vermitteln, wie man sich etwa den Ablauf der Entstehung des Tüttensee-Kraters vorstellen muss und warum die Bohrung des LfU unmöglich die Entstehung der Hohlform datieren kann.

Ein sehr instruktives Anschauungsmaterial liefert das Video, das mit einer Hochgeschwindigkeitskamera von einem experimentellen Überschall-Einschlag als Modell für den Tüttensee-Impakt aufgenommen wurde. Ein erläuternder Artikel mit dem Video kann HIER angeklickt und heruntergeladen werden.

Tüttensee Bildfolge 1 Abb. A1. Zur Zeit des Impaktes besteht der Untergrund aus sandig-kiesigen Ablagerungen, Seesedimenten und Torf.

Bildfolge 2 Tüttensee Chiemgau ImpaktAbb. A2. Die Exkavation mit der Entstehung der Hohlform und dem nach außen wandernden Vorhang der lockeren Auswurfmassen.

Bildfolge 3 Tüttensee-Kraterbildung Chiemgau ImpaktAbb. A3. Der Vorhang hat sich um den Krater herum ablegt (als heute in Schürfen sichtbarer Katastrophenhorizont) und einen Ringwall am Rand der Hohlform stehen lassen.

Bildfolge 4 Kraterbildung Tüttensee Chiemgau ImpaktAbb. A4. Da die Auswurfmassen aus sehr lockerem, wassergesättigtem Material bestehen, ist der Wall völlig instabil. Er existiert in dieser Form nur momentan, und ein Großteil des Materials fließt zurück in die Hohlform.

Bildfolge 5 irreführende LfU-BohrungAbb. A5. Diese Verhältnisse haben wir heute am Tüttensee, und das Bild zeigt, dass die Bohrung des LfU genau die Schichten durchspießt, die dort schon immer seit der Eiszeit anstanden.