Als wesentliche und wichtige Ergänzung sollte der Besucher dieser Seite das digital neu eingerichtete virtuelle Impakt-Museum Grabenstätt besuchen, das auf den allerneuesten Stand der Forschung und Erkenntnisse zum Meteoritenkrater-Streubild gebracht wurde. Bild anklicken und besuchen!
Der Tüttensee-Meteoritenkrater – ein bayerisches Geotop
von CIRT (Chiemgau Impact Research Team) Juli 2019
Seit Anfang des Jahres 2019 hat das Bayerische Landesamt für Umwelt (LfU) mit der Abteilung für Geologie den Tüttensee bei Grabenstätt am Chiemsee in seine Liste der bayerischen Geotope aufgenommen. Was ist ein Geotop? Wikipedia sagt zum Begriff des Geotops:
Geotope (der oder das,[1] von griechisch γῆ gé die Erde und τόπος topos der Ort) sind Gebilde der unbelebten Natur, die Einblicke in die Erdgeschichte, einschließlich der Entstehung und Entwicklung des Lebens auf der Erde, vermitteln.
Wir vom CIRT haben diese Entscheidung der Beamtengeologen vom LfU aufgegriffen und präsentieren hier nachfolgend eine anschauliche Zusammenfassung der bisherigen geowissenschaftlichen Erforschungen des Tüttensees und seiner Umrandung durch das CIRT – ganz im Sinne der Geotop-Definition, Einblicke in die Erdgeschichte, hier in ein ganz bemerkenswertes Ereignis der bayerischen Geologie, zu vermitteln.
Diese Einblicke umfassen ein breites Spektrum geowissenschaftlicher Befunde und Erkenntnisse zur Entstehung des Tüttensees, basierend auf Untersuchungen der Geomorphologie, der Geologie, der Geophysik, der Mineralogie, der Petrographie, der Geochemie und der meteoritischen Impaktforschung.
Dabei ist ein wichtiger Punkt, diese Erkenntnisse einem breiten Publikum zugänglich zu machen, was ein besonderes Anliegen von Geotopen ja sein soll. Damit fangen wir deshalb an: mit dem Meteoritenkrater-Wanderweg um den Tüttensee, der in Zusammenarbeit mit der Gemeinde Grabenstätt und als „Freiluft“-Ergänzung zum Grabenstätter Impaktmuseum errichtet wurde.
Der Meteoritenkrater-Wanderweg
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Die fünf Stationen des Meteoritenkrater-Wanderweges mit dort aufgestellten Tafeln zur verständlichen Erläuterung der geologischen Zusammenhänge.
Die große Posterwand am Eingang zum Seebad mit Erläuterungen in deutscher und englischer Sprache.
Die Morphologie des Tüttensee-Meteoritenkraters im Digitalen Geländemodell DGM 1:
Der Tüttensee-Krater mit dem plötzlich aus der Geländeverebnung hervorragenden Ringwall mit meist steilem Abfall nach innen und flacherem Abfall nach außen.. Wissenschaftler aus der Geomorphologie und Geographie halten eine Eiszeit-Genese des Ringwalls für ausgeschlossen, wie auch in einer früheren Doktorarbeit über den Tüttensee zu lesen ist. Seine unregelmäßige Gestalt resultiert aus der sofortigen Überprägung des Kraters durch die gewaltigen Tsunami-Massen aus dem Doppeleinschlag in den Chiemsee sowie als Ausdruck menschlicher Besiedlungsspuren (z.B. Römer). Im Bereich der vorher existierenden Moräne ist der Wall nur als Überlagerungsstruktur zu erkennen. Im Tüttenholz auf der Moräne existieren mehrere kleinere begleitende Einschlagkrater mit Ringwall, die im DGM 1und mit Bodenradarmessungen sehr gut zu identifizieren sind. (Sehr viel mehr zum Digitalen Geländemodell beim Chiemgau-Impakt ist HIER zu finden.)
Geophysikalische Messungen auf dem Tüttensee-Krater und in seinem Umfeld.
Gravimetrie – Messungen der Schwerkraft (Erdanziehung)
Karte und diametrales Profil der Schwerkraft-Anomalien. Sehr bemerkenswert und zunächst nicht erwartet der Kranz positiver Schwerewerte (pink) als Ausdruck einer stärkeren Verdichtung der Gesteinsablagerungen um den Tüttensee-Krater herum.
Eine Modellrechnung am Computer beschreibt diese Verdichtung (rot) als linsenförmig unter dem Krater und bis in ziemliche Entfernung um ihn herum. Mit dem Ringwall hat das nichts zu tun, der bei der Auswertung der Daten zuvor weggerechnet wird.
Eine Erklärung dazu, wie es beim Einschlag zu dieser, den Krater „umzingelnden“ Dichteerhöhung gekommen ist: Schock-Verdichtung.
Ausführliches zu dieser Gravimetrie ist in diesen beiden Artikeln zu lesen: Anklicken und herunterladen –Anklicken und herunterladen.
Seismische Messungen (Sediment-Echolot) auf dem Tüttensee
Mit Beauftragung durch das LfU – Abteilung Geologie – wurden 2007 von der Geographie der Universität Jena seismische Messungen als Vorbereitung einer Bohrung in das Sediment des Tüttensees durchgeführt – eine Bohrung, die dann trotz umfangreicher Vorbereitungen aus nicht nachvollziehbaren Gründen nach Vorlage der seismischen Ergebnisse plötzlich abgebrochen und nie realisiert wurde. Dem CIRT lag vom LfU ein kurzer, weitestgehend nichtssagender Bericht über diese vorbereitenden seismischen Messungen mit angeblich unergiebigen Resultaten vor; allerdings waren durch großartiges Entgegenkommen der Wissenschaftler aus Jena Rohdaten der Messungen in Form sämtlicher Seismogramme dem CIRT zur Verfügung gestellt worden. Mit der fachkundigen Auswertung der CIRT-Geophysiker konnte dann eine Fülle sehr aussagekräftiger Ergebnisse den Jenaer Messungen entnommen werden.
Beispiel-Zusammenstellung der geophysikalischen Auswertung von charakteristischen Seismogrammen von den Kraterrändern. Man beachte die plötzlichen Schichtabbrüche am Kraterrand und die starken Einengungsstrukturen der dort vor dem Impakt anstehenden quartären Schichte. Der Zusammenhang mit der gravimetrischen Gesteinsverdichtung um den Tüttensee-Krater herum durch den nach außen wandernden enormen Schockdruck ist evident!
Ein vollständiger Artikel mit vielen weiteren Auswertungen und Interpretationen in Verbindung mit den Ergebnissen der Gravimetrie kann HIER angeklickt und heruntergeladen werden.
Bodenradar – Georadar – (GPR, ground penetrating radar) am und auf dem Tüttensee
Bodenradar-Messungen mit Kollegen von der tschechischen Akademie der Wissenschaften Prag und ein aufwendiges Datenprocessing durch die CIRT-Geophysiker haben eine Fülle prachtvoller Ergebnisse zum Krater-Aufbau und zu den Krater-Bildungsprozessen erbracht. Nachfolgend bringen wir eine kleine Zusammenstellung von Bildern, die auf der diesjährigen (2019) weltweit renommierten Lunar & Planetary Science Conference (LPSC) in The Woodlands/Houston (Texas) von uns präsentiert wurden. Viel Erläuterung dazu erscheint nicht notwendig – die Radargramme sprechen für sich. Hier Anklicken des Posters (das PDF kann stark vergrößert werden.) vom LPSC Kongress.
Dachziegellagerung der Schichten im Ringwall des Tüttensee-Kraters als Dokumentation des Impakt-Auswurfprozesses.
Radar-Profile über den Tüttensee – Beweis gegen eine nacheiszeitliche Sedimentation im See.
Messung auf dem Wasser des Tüttensees. Keine eiszeitliche Sedimentation!
Geologie – bis heute über 80 Schürfe bis in 3 m Tiefe im Umfeld des Tüttensee-Kraters mit Schichten-Aufnahme und umfangreicher Probenentnahme
Umfangreiches Material zur Geologie des Tüttensee-Kraterareals findet sich an vielen Stellern dieser Webseite: SUCHFUNKTION
Die intensiven Geländeaufnahmen haben um den Tüttensee herum eine durchgehende Katastrophenschicht nachgewiesen mit einer extrem intensiven Durchmischung von brekziierten Gesteinen, Schmelzgesteinen, intensivst korrodierten (Säure, Hitze) Geröllen, organischem Material (heftigst zersplitterte Äste, Holzkohle, frische Schilfreste, zerbrochene Knochen, zerbrochene Zähne, Haarbüschel), sowie archäologischen Artefakten (eine Menge Keramik-Scherben, Steinartefakte). Letztere belegten rasch eine nach-eiszeitlichen Datierung einer ganz jungen Katastrophe. Andere Prozesse als ein Meteoriteneinschlag (kein Bergrutsch wegen des fehlenden Reliefs) konnten rasch ausgeschlossen werden.
Die polymikten Brekzien aus der Tüttensee-Katastrophenschicht.
Schockeffekte (Schockmetamorphose) in Gesteinen vom Tüttensee
Schockeffekte gelten seit geraumer Zeit in der Impakt-Forschung als untrügliches, beweisendes Merkmal für einen meteoritischen Impakt. Das trifft auch für den Chiemgau-Impakt zu, wo im Kraterstreufeld vom CIRT vielfach extreme, allgemein anerkannte Schockeffekte nachgewiesen werden konnten. Schockeffekte am Tüttensee wurden bisher in Gesteinen vom Ringwall und in großer Häufung in Gesteinen aus der Katastrophenschicht nachgewiesen.
Makroskopischer Schockeffekt: Shatter Cones („Schmetter-Kegel“) vom Tüttensee
Shatter Cones entstehen beim Durchgang einer Schockwelle durch ein Gestein und erzeugen dabei kegelförmige Brüche mit typischen Markierungen („Pferdeschwanz-Markierungen“) auf den Kegel-Oberflächen. Als nötiger Druckbereich werden etwa 20 bis 200 Kilobar angenommen.
Links: zwei gegenläufige Shatter Cones vom Tüttensee (feinkörniger Sandstein) und im Vergleich ein Shatter Cone vom Crooked Creek-Meteoritenkrater in Louisiana (USA) (Dolomit). In offenbar völliger Unkenntnis von Schockeffekten und von den Schock-Prozessen bei der Shatter Cone Bildung bezeichnen Amtsgeologen vom LfU die Tüttensee-Bruchflächenmarkierungen als in den Alpen entstandene Kritzungen (Striemungen) und ignorieren dabei aber auch elementarste geologische Erstsemester-Kenntnisse (Wie sollen die „Kritzungen“ auf der Oberfläche der Kegel-Bruchflächen den Transport von den Alpen zum Tüttensee unbeschadet überstanden haben?). Artikel zum Anklicken und Herunterladen HIER:
Mikroskopische Schockeffekte vom Tüttensee
(mehr dazu in einem älteren Artikel HIER.
Mikroskopische Schockeffekte sieht der Mineraloge/Petrograph im Gesteinsdünnschliff bei der Analyse mit dem Polarisationsmikroskop oder auch unter dem Elektronenmikroskop. Planare Deformationsstrukturen (PDF) in Quarz und Feldspat entstehen bei hohen Schockdrücken; es sind optisch isotrope Lamellen im Abstand und mit einer Breite im Mikrometerbereich. Planare Brüche (PF) sind ein besonderes Schockmerkmal in Quarz-Körnern, die (als Spaltbarkeit) sonst normalerweise nicht im Quarz entstehen. Multiple Scharen engständiger Knickbänder in Glimmern entstehen bei Schock, können aber in einfacherer Form auch bei extremen tektonischen Drücken entstehen. Multiple Scharen von Zwillingsbildungen in Calciten im Mikrobereich sind wiederum ein typisches Schockmerkmal. Alle diese mineralogischen Deformationen sind reichlich als Schockbeweis in den Gesteinen vom Tüttensee vorhanden.
Zur Zeitstellung der Entstehung des Tüttensee-Kraters und zu den irreführenden Darstellungen (Pressemitteilung, Artikel) der Geologen vom LfU.
Nach den frühen raschen archäologischen Befunden muss der Chiemgau-Impakt geraume Zeit nach Ende der letzten Eiszeit und wegen der Artefakte in der Katastrophenschicht nach der jüngsten Steinzeit stattgefunden haben. Neuere spektakuläre Fund im Ausgrabungsmaterial der archäologischen Grabung Chieming-Stöttham haben das Zeitintervall präziser auf die ausgehende Bronzezeit/Eisenzeit fassen können; die entsprechende Präsentation auf der LPSC 2019 kann HIER angeklickt werden.
Die Darstellungen des LfU zur Entstehung des Tüttensees zeichnen dagegen ein höchst verfälschendes Bild. Sie beziehen sich auf eine Bohrung des Amtes am Uferrand des Tüttensees und die Interpretation einiger Radiokarbon-Datierungen von Bohrproben. Die dazu vorgebrachten Ausführungen müssen entweder als bewusste wissenschaftliche Irreführung oder als fundamentale Unkenntnis von Impaktprozessen verstanden werden: der in einer Presseerklärung des Amtes behauptete Ansatzpunkt der Bohrung (Zitat) „am Kesselboden“ (und nicht wie tatsächlich auf dem Festland), sowie das jüngste (!) Radiokarbon-Alter von ca. 4000 Jahren vor heute, das als absolut irreführender sog. Beweis gegen einen Einschlag am Tüttensee in die Welt gesetzt wurde. Vor 4000 Jahren hatte der Impakt überhaupt noch nicht stattgefunden.
Ausführliche Auseinandersetzungen des CIRT mit diesem Vorgehen der Geologen vom LfU und zu den prompt aufgegriffenen Falschinformation im Internet (darunter Wikipedia) finden sich in den folgenden Beiträgen:
Chiemgau-Impakt: Der Tüttensee-Meteoritenkrater, Geophysik sowie die Bohrungen und die Radiokarbon-Datierung des LFU
Der Chiemgau-Impakt: die irreführende Bohrung des LfU, die Internet-Diskussion und Wikipedia – oder: Wie Verfälschungen in der Wissenschaft funktionieren.
Zusammenfassung.
Im Vorangegangenen haben wir in einer Kurzfassung zusammengetragen, was den Tüttensee, weitestgehend unwidersprochen in der wissenschaftlichen Welt, zu einem Bestandteil eines der weltweit bemerkenswertesten meteoritischen Impakt-Dokumentationen im Rahmen des geologisch jungen Chiemgau-Impaktes macht. Eine „Adelung“ als ein bayerisches Geotop erscheint deshalb mehr als angebracht.