Die „Bunte Breccie“ vom Tüttensee

Mit dem Begriff „Bunte Breccie“ wird beim Ries-Impaktkrater (Nördlinger Ries) derjenige Anteil der Auswurfmassen (Ejekta, Bunte Trümmermassen) bezeichnet, der bei der geologischen Detail-Kartierung zeichnerisch nicht mehr in stratigraphisch unterscheidbare Einheiten unterteilt werden kann. Das „Bunte“ bezieht sich dabei auf die vielen Farben (schwarze Jura-Tonsteine, weiße Malm-Kalksteine, violette und grünliche Keupergesteine, vielfarbige Kristallingesteine), die bei starker Durchmischung der Komponenten dieser Breccie eben das bunte Aussehen verleihen. Neue Schürfe am Tüttensee haben eine „Bunte Breccie“ angetroffen (das Bild hier), die eine ungemein große Ähnlichkeit mit ihrer „Namensschwester“ vom Rieskrater besitzt, inbesondere wenn man zum Vergleich die dortige feinstückige tonige Breccie heranzieht. Ein vergleichbarer Bildungsprozeß (beides Impakt-Ejekta) ist zu vermuten. Etwas ausführlicher wird der neue Befund am Tüttensee in einem vorläufigen Bericht HIER abgehandelt.

Schürfe in der östlichen Umrahmung des Tüttensees haben den Impakthorizont, der im Herbst 2005 am Ortsrand von Grabenstätt aufgeschlossen wurde (https://www.chiemgau-impakt.de/einfuehrung/ein-impakthorizont-bei-grabenstatt/), erneut und an mehreren Stellen angetroffen. Die Befunde ähneln stark denjenigen von Grabenstätt mit einigen zusätzlichen Besonderheiten. Ein vorläufiger Bericht mit 33 Farbbildern, der den Impaktursprung des Tüttensees weiter untermauert, ist hier (Teil1 undTeil2) nachzulesen.

 

Einer der bemerkenswertesten Krater im Impakt-Streufeld ist der Krater 024 bei Marktl. Er ist aus der Uferböschung des Inns geradezu herausgestanzt worden und heute noch als Halbkrater mit einem Durchmesser von ca. 50 m erhalten. Ursprünglich hat es einen Wall gegeben, der im Zuge der Ackerbewirtschaftung eingeebnet wurde. Foto: Gerhard Benske.


Erzmikroskopische Aufnahme einer Probe aus der Krater-Streuellipse: Längliche dunkle Xifengit-Kristalle (x) und Titankarbid-Einschlüsse (tc) in einer Matrix aus Gupeiit (g). Die Eisensilizid-Minerale Xifengit und Gupeiit sowie das Titankarbid sind wichtige Funde im Zusammenhang mit dem Impakt.

Mineralogisch-petrographische und geochemische Untersuchungen

Seit der ersten online-Veröffentlichung über den „Kometen vom Chiemgau“ durch die amerikanische Zeitschrift Astronomy und dem ersten ausführlicheren Internetartikel (Rappenglück et al. 2004) ist ein umfangreiches Programm mineralogisch-petrographischer und geochemischer Untersuchungen an Gesteinen und Material aus der Streuellipse und ihrer Umgebung durchgeführt worden. Die Arbeiten (Dünnschliff-Petrographie, Mikrosonden- und Röntgenstrahlen-Analysen, Analytik am Rasterelektronenmikroskop usw.) erfolgten vornehmlich am Institut für Mineralogie der Universität Würzburg, untergeordnet bei Carl Zeiss SMT, Oberkochen.

Außer vom CIRT gezielt entnommenem Material wurde eine größere Zahl von  Proben analysiert, die interessierte und aufmerksame Zeitgenossen gefunden und uns übermittelt haben. Bei nicht allen Proben sind wir bisher zu schlüssigen Resultaten gekommen; bei einigen stehen weitergehende Untersuchungen aus.

Einen Komplex, der u.a. bisher sehr detailliert untersucht wurde, stellen die lithologisch sehr vielfältigen, mechanisch und thermisch stark beanspruchten Gerölle aus Kratern im nördlichen Bereich des Impakt-Areals dar (Abb. 1, 2, 3). 17 Geröllproben wurden mit Dünnschliffen und Mikrosonde analysiert (Institut für Mineralogie der Universität Würzburg). Die Gerölle aus den Molassesedimenten repräsentieren gängige Gesteine aus den Alpen wie Quarzite oder basische Metamorphite. Die Dünnschliffe zeigen deutlich eine Schockmetamorphose bei hohen Temperaturen und Drücken. Wir beobachten multiple Scharen von planaren Deformationsstrukturen (PDFs, Abb. 3) in Quarz und Feldspat, diaplektisches SiO2-Glas und extreme Subkornbildung. Extremes Auftreten von offenen und glasgefüllten Zugbrüchen in den Geröllen und in einzelnen Quarzkörnern deutet auf Spallation durch dynamische Schockimpulse. Schmelzgläser finden sich in drei verschiedenen Ausbildungen: als dünne Glaskrusten (Abb.1), die in vielen Fällen die Gerölle vollständig überziehen, als blasiges und teilweise rekristallisiertes Feldspatglas (Abb. 2), das Quarzite vollständig durchsetzt, und als auf die Gerölle aufgekleckste Schmelzbatzen aus Fremdmaterial.

Abb. 1. Vollständig mit Glas ummanteltes Geröll aus Krater 004 (links). Rechts: Nahaufnahme. Das farblos bis grünliche Glas enthält zahllose winzige Bläschen. Breite des Ausschnitts 22 mm.

Die Glasüberzüge haben sich wahrscheinlich gebildet, als die bei der Kraterbildung ausgeworfenen Gerölle in die überhitzte Explosionswolke hineinflogen. Da dieses Glas stark an Kalium und Natrium angereichert ist, was sonst in den Geröllen praktisch nicht vorkommt, muß eine externe Anlieferung angenommen werden. Ein Beitrag aus verglühter oder verdampfter Vegetation muß in Betracht gezogen werden.

Abb. 2. Links: Anschnitt eines thermisch geschockten Quarzit-Gerölls aus dem 11 m messenden Krater 004. Man beachte die dunklen Streifen aus teilweise rekristallisiertem Feldspat-Glas, die dem Gestein ein gneis-ähnliches Aussehen vermitteln. Rechts: Nahaufnahme. Dunkles und farbloses Feldspat-Glas zusammen mit hellen Quarzkörnern. Das Aufnahmefeld ist 3 mm breit.

Abb. 3. Zwei scharen planare Deformationsstrukturen (PDFs) in Quarz als Ausdruck von Schockbeanspruchung. Aus einem Geröll in Krater 004. Das Feld ist 1,5 mm breit

Die Geländebeobachtungen und die Laboruntersuchungen schließen normale tektonische Prozesse und anthropogene Einwirkungen völlig aus und sprechen eindeutig für ein Impaktereignis. Ein ausführlicher Artikel zu diesen Untersuchungen kann HIER angeklickt werden.

Weitere Hinweise auf hohe Temperaturen geben die Funde weißer, hochporöser Karbonat-Klasten (Abb. 4). Wir interpretieren sie als Kristallisationsprodukte einer Karbonatschmelze aus der Aufschmelzung von Kalkstein-Geröllen. Sehr ähnliches schaumiges Karbonat-Material, ebenfalls als Relikte von Karbonatschmelzen gedeutet, wird für die Impaktstrukturen von Azuara und Rubielos de la Cérida beschrieben (Ernstson & Claudin 2002; siehe auch Grieve & Spray 2003). Anders als silikatische Gesteine können Karbonate nicht zu Glas abgeschreckt werden. Stattdessen kristallisieren sie beim Abkühlen sehr schnell aus, um wieder zu Calcit/Aragonit zu werden. Typisch ist dann z.B. das Auftreten von dendritischen Kristalliten. In den hier beschriebenen weißen Karbonatmassen finden sich auch Relikte von Calcit-Kristallen mit Mikrozwillingsbildung, die ebenfalls als Schockindikator gilt (Metzler et al. 1988, und weitere Zitate dort). Weiter unten beschreiben wir solche hochporösen Karbonat-Klasten, die mit Eisensilizid-Splittern gespickt sind.

Abb. 4. Extrem poröse Karbonat-Klasten werden als Kristallisationsprodukte aus einer Karbonatschmelze gedeutet.

Eine besondere Material-Gruppe stellen die metallischen Partikel dar, die ursprünglich die Entdecker auf die Spur des Impaktes gebracht hatten und die mittlerweile über die gesamte Fläche des Kraterstreufeldes und in einem begleitenden Halo, insgesamt auf einer Fläche von über 3000 km², nachgewiesen wurden.

Metallische Stücke  bis zu einer Größe von 10 cm, in der Regel aber nur sehr klein bis zu einer Fraktion von feinem Sand, zeigen sich ohne jegliche Oxidationsspuren, besitzen eine Dichte von 6,3 g/cm³ und eine Mohs’sche Härte von 6-8. Aerodynamische und Abspratz-Formen sind häufig (Abb. 5).

Abb. 5. Typische Formen größerer Partikel von metallischen Eisensiliziden.

In der Analyse erweisen sie sich als  Eisensilizide unterschiedlicher Eisen-Silizium Verhältnisse, FeXSiY, mit verschiedenen Einschlüssen, darunter Titankarbid, TiC, Alpha-Eisen und Aluminium-Silizid, AlXSiY. Auch in den oben beschriebenen hochporösen Karbonatklasten, die aus einer Karbonatschmelze abgeleitet werden, finden sich die metallischen Eisensilizide als Einschlüsse (Abb. 6).

Abb. 6. Hochporöses karbonatisches Material gespickt mit winzigen metallischen Partikeln. Die Pfeile markieren größere Einschlüsse. Länge der Probe 5 cm.

Dieses sehr eigenartige metallische Material, das offenbar eng mit den Kratern des Streufeldes vergesellschaftet ist, wurde – nach früheren Untersuchungen an Funden im nördlichen Areal (Beer 2003, Rösler et al. 2004, 2005, Schryvers & Raeymakers 2005) – erneut am Institut für Mineralogie der Universität Würzburg analysiert, und zwar für Fundorte in der gesamten Streuellipse bis in Hochlagen (1200 m NN) der allerersten Alpenkette.

Regelmäßig werden Verwachsungen der Eisensilizid-Minerale  Gupeiit, Fe3Si1 , und Xifengit, Fe5Si, beobachtet (Abb. 7, 8), und häufig schwimmen Kristalle von Titan-Karbid, TiC , in einer Gupeiit-Matrix (Abb. 9, 10).

Die Minerale Gupeiit und Xifengit wurden eindeutig mit eine Röntgen-Analyse identifiziert (Abb. 11). Die Möglichkeiten einer industriellen Herkunft der Eisensilizide und des Titankarbid werden ausführlich diskutiert unter dem Menüpunkt Diskussion anderer Modelle sowie nach neuesten Untersuchungen – HIER.

 

Abb. 7. Gelängte dunkle Xifengit-Kristalle (x) in einer Matrix aus Gupeiit (g). Erzanschliff im Auflichtmikroskop.

Abb. 8. Kristall des Eisensilizids Fe1Si1 ummantelt von Xifengit; beide schwimmen in einer Matrix aus Gupeiit. Erzanschliff im Auflichtmikroskop.

Abb. 9. Gelängte dunkle Xifengit-Kristalle  (x) und Titankarbid-Einschlüsse (tc) in einer Gupeiit-Matrix (g). Erzanschliff im Auflichtmikroskop.

Abb. 10. Dreieckige Anschnitte von Titankarbidkristallen in einer Gupeiit-Matrix Erzanschliff im Auflichtmikroskop.

Abb. 11. Pulverdiffraktogramm einer Eisensilizidprobe mit typischen Reflexen von Xifengit, Gupeiit und Titankarbid.

Regmaglypten auf Kalkstein-Geröllen: Hinweis auf Karbonatschmelze im Chiemgau-Impakt – Nachtrag

Vor etwa 40 Jahren wurde von Thomas Weber, Hettenleidelheim, im Bereich des nördlichen Chiemseeufers zwischen Seebruck und Lambach ca. 30 – 40 m vom Ufer entfernt aus 2 – 3 m Wassertiefe der Stein der Abb. 1 geholt. Ein weiterer, sehr ähnlicher Brocken wurde an derselben Stelle von seinem Begleiter geborgen. Wegen der sehr ungewöhnlichen Oberflächenskulptur wurden die Steine seinerzeit als Sammelobjekte mitgenommen. Thomas Weber hat uns nunmehr, nachdem er sich im Zusammenhang mit der Diskussion über den Chiemgau-Impakt an seinen Fund erinnerte, den Stein zur Untersuchung und Dokumentation zur Verfügung gestellt.

Abb. 1. Ein aus dem Chiemsee geborgenes regmaglyptisches Kalksteingeröll. 

Wir deuten die eigenartige Oberflächenskulptur als Schmelzstrukturen, sogenannte Regmaglypten, die beim Flug des Gerölls durch die heiße Explosionswolke beim Chiemgau-Impakt entstanden. Regmaglypten sind ursprünglich von Meteoriten bekannt, mittlerweile aber auch von irdischen Impaktstrukturen beschrieben worden (Abb. 2).

Ein ausführlicherer Text über Regmaglypten, das hier gezeigte Geröll, Verwechslungsmöglichkeiten mit gewöhnlichen Lösungskarren und eine Erörterung im Rahmen des Chiemgau-Impaktes kann HIER angeklickt werden.

Abb. 2. Erstaunlich ähnlich: Regmaglypten auf der Oberfläche des Tabor-Meteoriten (links) und auf einem Kalkstein-Fragment aus den Puerto Mínguez-Ejekta, Azuara-Rubielos de la Cérida-Impaktstrukturen (Spanien).


Dr. R. Huber von der Universität Bremen hat uns kürzlich mitgeteilt, daß dem (Zit.) Augenschein nach die hier gezeigten Skulpturen das Werk von Endolithen, also von Bakterien und Algen seien. Wir bedanken uns für seinen Hinweis und werden die Strukturen auch noch einmal unter dem Gesichtspunkt biogener Formen untersuchen. Eine endolithische Entstehung halten wir für äußerst unwahrscheinlich und verweisen darauf, daß dem Augenschein nach sehr ähnliche Strukturen dennoch aus ganz unterschiedlichen Prozessen resultieren können. Ein einschlägig typisches Beispiel ist die absolute phänomenologische Übereinstimmung von Produkten regmaglyptischer Schmelzprozesse und Lösungsprozessen im Karst (Karren).

Inzwischen haben wir die sog. “Furchensteine” auch unter dem Gesichtspunkt einer Wirkung von Algen und Bakterien untersucht. Diese Erklärung müssen wir für die von uns (!) beschriebenen Strukturen ausschließen. Wir verweisen dazu auch noch einmal auf den ausführlichen Artikel .

Unter die Lupe genommen: „Der Sturz des Phaethon“:

Diskussion und Erwiderung in der Zeitschrift „Antiquity“

Im Sommer 2010 haben die Historikerin Barbara Rappenglück und andere Wissenschaftler des Chiemgau Impact Research Teams in der renommierten internationalen Fachzeitschrift „Antiquity“ einen durch unabhängige internationale Experten begutachteten (peer review) Aufsatz publiziert unter dem Titel “The fall of Phaethon: a Greco-Roman geomyth preserves the memory of a meteorite impact in Bavaria (south-east Germany)“ (Antiquity 84, 2010, 428-439; http://antiquity.ac.uk/ant/084/ant0840428.htm). In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift „Antiquity“ versuchen Beamte des Bayerischen Landesamtes für Umwelt (LfU) in einer (keinem Fachgutachterprozess unterworfenen) Rückmeldung auf den Aufsatz von Rappenglück et al., den Umstand eines Meteoriteneinschlags im Chiemgau, den sog. Chiemgau Impakt, grundsätzlich in Frage zu stellen (Doppler et al., Antiquity 85, 2011, 274-277). Rappenglück et al. antworten darauf im selben Heft (Antiquity 85, 2011, 278-280; http://antiquity.ac.uk/ant/085/ant0850278.htm) und weisen die Einwände des LfU zurück. Die Copyright-Richtlinien von „Antiquity“ gestatten es nicht, den Text auf dieser Webseite zugänglich zu machen. Wir bieten hier daher einen Überblick zu unserer Erwiderung.

Doppler et al.s Argumentation stützt sich auf Studien, deren Ansatz für die Impaktforschung ungeeignet ist. Dies sei anhand des folgenden Beispiels illustriert: Doppler et al. bestreiten die Existenz des von uns mit dichten, gezielt angelegten Sonar-Messungen nachgewiesenen 900x400m-Doppelkraters im Chiemsee mit dem Argument, „over 200 km of seismic profiles“ sowie 4 Bohrkerne hätten keine „major disturbance in the sedimentary sequence“ gezeigt. Schauen wir uns zuerst die 200 km seismische Profile an. Projiziert man diese scheinbar beachtliche Länge als rechtwinkliges Netz auf die Fläche des Chiemsees, die eine Ausdehnung von ca. 80 km2 hat, so ergibt sich eine große Maschenweite von ungefähr 800 m. Das bedeutet, dass sogar eine so große Struktur wie der 900x400m-Doppelkrater der Auffindung leicht entgehen konnte. Betrachten wir des weiteren Doppler et al.s vier Bohrkerne. Für die Zielsetzung von Impaktforschung sind vier Bohrkerne verteilt über eine Fläche von 80 km2 der Nadel im Heuhaufen vergleichbar. Darüber hinaus unterliegen Doppler et al. dem Irrtum, dass im Fall von meteoritischen Nebeneinschlägen in den Chiemsee das gesamte Bett des Chiemsees durcheinandergebracht worden sein müsste (Doppler et al. 2011: 276: “They [the cores] produced undisturbed sections and show no indication of a major disturbance in the sedimentary sequence which would be expected from an impact.”). Dieser Gedanke belegt eine amateurhafte Vorstellung von Impaktprozessen und eine völlige Unkenntnis der Geophysik eines Meteoriteneinschlags. Im nächsten Absatz, im Zusammenhang mit Doppler et al.s Bohrung am Tüttensee, wird dies erläutert.

Das zentrale Argument von Doppler et al. basiert auf einer Bohrung am Rand des Tüttensees. Dort fanden sie “an undisturbed sequence ranging from 4800 years ago near the surface to 12 500 years ago from the lake deposits at the base” (Doppler et al. 2011: 274). Aus dieser Beobachtung schließen sie, dass weder der Tüttensee-Kessel ein Meteoritenkrater sei, noch, dass er – wie von uns erschlossen – im sehr späten Holozän entstanden sei, sondern seine Entstehung der letzten Eiszeit verdanke. Doppler et al.s Schlussfolgerung basiert auf der (falschen) Annahme, dass sich die Stelle ihrer Bohrung innerhalb des Kraters befinde. Die Frage, ob diese Stelle innerhalb oder außerhalb des Kraters ist, ist sehr wesentlich im Hinblick auf die beim Impakt freiwerdenden Kräfte, ihre Ausdehnung und ihre Auswirkungen. Der heute sichtbare Rest des Kraterwalls suggeriert, dass sich die Bohrstelle innerhalb des Kraters befinde. Doch ist dieser Eindruck, wie die Graphik zeigt, falsch. Die Bohrstelle befindet sich außerhalb der ursprünglichen Kraterhohlform, wo, den physikalischen Gesetzmäßigkeiten der Druckausbreitung entsprechend, die Schockintensität bereits so abgefallen war (auf einen maximalen Druck von wenigen kbar), dass geringfügige Deformationen in einem Bohrkern von wenigen Zentimetern Durchmesser nicht mehr erkennbar sind. Genauso ist es nicht möglich, dort noch einen Temperaturanstieg nachzuweisen. Doppler et al.s Kernargument erweist sich so als hinfällig.

Kraterbildung1 3

Stark vereinfachter Ablauf der Kraterbildung und der Ansatz der Bohrung des LfU (erstmalig veröffentlicht in ‚Antiquity‘ 85, 2011, S. 279).

Wir erläutern hier im Gegenzug unseren grundlegenden Beleg für einen Meteoriteneinschlag, den Doppler et al. konsequent ignoriert haben. Planare Deformationslamellen (engl. Planar Deformation Features [= PDF]) in Quarz sind eine Form der Schockmetamorphose von Gestein und gelten nach internationalem Standard als Beleg für einen Impakt (Stöffler & Langenhorst 1994: 165). PDFs entstehen durch sehr kurz wirkende, aber extrem starke Drücke (für die Entstehung von PDFs in Quarz sind minimal 5-10 GPa [50-100 kbar] erforderlich), und können einzig durch Impakte erzeugt werden. Weder tektonische Prozesse noch die Auflast von Gestein oder Eis erzeugen Schockphänomene. Wir haben PDFs in Steinen vom Tüttenseewall und aus der Tüttensee-Ejektaschicht gefunden (sowie in anderen Teilen des Kraterstreufelds) (Ernstson et al. 2010: 82). Diese Steine wurden beim Impakt im Zentrum des Kraters geschockt, aus dem Krater herausgeschleudert und außerhalb abgelagert. Ein Mikroaufnahme von PDFs haben wir in unserem Aufsatz veröffentlicht (Rappenglück et al.: fig. 3); PDFs von verschiedenen Stellen im Kraterstreufeld sind abgebildet in Ernstson et al. 2010: 82. Allein mit diesem Nachweis ist der Chiemgau-Meteoriteneinschlag bestätigt.

Statt sich mit diesen Belegen für Schockmetamorphose auseinanderzusetzen und die international akzeptierte Beweiskraft derartiger Beispiele von Schockmetamorphose für einen Meteoriteneinschlag zu akzeptieren, versuchen Doppler et al., ihre Leser mit ihrer (unhaltbaren) Kritik an Sekundäraspekten (sei es die Frage der Datierung, der kohligen Kügelchen, der stark korrodierten Steine, der verglasten Steine, der Eisensilizide etc.) davon zu überzeugen, dass der Impakt als solches Unsinn sei. Mit dieser Taktik greifen unsere Kritiker zum einen zu einer unwissenschaftlichen Vorgehensweise, zum anderen beweisen sie damit ihre fundamentale Unkenntnis von Impaktforschung und den darin gültigen Nachweiskriterien. Doppler et al. dokumentieren in geradezu absurder Weise selbst diese Unkenntnis, wenn sie von „astronomical conditions required as a criteria for an impact“ sprechen (Doppler et al. 2011: 277, unter Bezug auf Heinlein), die schlicht und einfach nicht existieren. Der Verweis auf Heinlein (Der so genannte „Kelten-Killer-Komet“ – Gab es einen Kometeneinschlag im Chiemgau? Journal für Astronomie, III/2009, Nr. 30, Zeitschrift der Vereinigung der Sternfreunde e.V., S. 84-86.) belegt, dass offensichtlich eine Verwechslung von „Nachweiskriterien“ und „Modellrechnungen“ vorliegt. Modellrechnungen sind durch viele Variable gekennzeichnet, die mit fortschreitendem Stand der Forschung immer neu angepasst werden müssen. Als Nachweiskriterium können sie aus diesem Grund nicht dienen, und unsere Kritiker erliegen einem Irrtum, wenn sie sie als ein solches heranziehen wollen. Unter https://www.chiemgau-impakt.de/diskussion finden Sie international akzeptierte Kriterien für einen Impakt und eine Aufstellung, wie der Chiemgau Impakt diese Kriterien erfüllt.

Ergänzende Bemerkungen:

Wir führen hier einige Beispiele dafür an, wie Doppler et al. unseren Text in “Antiquity” (Rappenglück et al. 2010: 428-439) verfälschend handhaben, und die zeigen, dass dem Text von Doppler et al. sogar die fundamentalen formalen Anforderungen an eine wissenschaftliche Debatte fehlen.

Doppler et al. (2011: 274) behaupten, wir würden den Chiemgau Impakt “some 2500 years ago” in die Eisenzeit datieren. Tatsächlich aber haben wir das Ereignis 4200-2800 Jahre zurück datiert (2200-800 v. Chr.), d. h. in die Bronzezeit (Rappenglück et al. 2010: 436).

Doppler et al. (2011: 274) behaupten, wir würden den Impakt durch den Mythos datieren. Das ist falsch: Wir haben den Impakt und den Mythos unabhängig voneinander datiert und dann die Daten verglichen (Rappenglück et al. 2010: 435-37).

Doppler et al. behaupten (2011: 276), wir würden sagen, der Chiemsee habe einst den Tüttensee eingeschlossen. Das ist schlicht und einfach nicht wahr, und natürlich können sie keine Belegstelle in unserem “Antiquity”-Aufsatz angeben, an der diese angebliche Behauptung stehen würde. Diese Art des Umgangs mit unserem Text ist mindestens schlampig zu nennen, wenn es sich nicht sogar um willentlich verzerrende Wiedergabe handelt.

Bemerkenswerterweise findet man diesen Umgang mit Texten auch bei Studien, mit denen sie ihre Statements zu untermauern versuchen: Doppler et al. (2011: 277) behaupten, Möslein habe die zur Diskussion stehende Ablagerung in Stöttham als “anthropogenic” bezeichnet. Natürlich geben sie keine Referenz an, denn in seinem Grabungsbericht (Möslein, S., 2009. Grabungsbericht. Chieming TS, Stöttham-Dorfäcker 2007/08. Technical report, Bad-Tölz, unpubl.; einsehbar im Landratsamt Traunstein) äußert sich Möslein überhaupt nicht zum Ablagerungsprozess dieser Schicht (Möslein 2009: 14f.).

Auch zitieren Doppler et al. (2011: 276) Gareis (Gareis, J. 1978. Die Toteisfluren des bayerischen Alpenvorlandes als Zeugnis für die Art des spätwürmzeitlichen Eisschwundes [Würzburger Geographische Arbeiten 46]. Würzburg) als Kronzeugen für die glaziale Entstehung der Tüttenseelandschaft. Doch Gareis (1978: 68) schließt mehrere Male die glaziale Genese von Teilen des Tüttensee-Ringwalls explizit aus. Mit diesen Beispielen gerät Doppler et al.s Text selbst unter rein formalen Gesichtspunkten ins Zwielicht.

Zur weiteren Lektüre empfohlen:

Ernstson, K., Mayer, W., Neumair, A., Rappenglück, B., Rappenglück, M.A., Sudhaus, D., Zeller, K.W. (2010), The Chiemgau Crater Strewn Field: Evidence of a Holocene Large Impact Event in Southeast Bavaria, Germany: Journal of Siberian Federal University, Engineering & Technologies 3 (1), 72-103. (http://elib.sfu-kras.ru/bitstream/2311/1631/1/04_.pdf)

Hiltl, M., F. Bauer, K. Ernstson, W. Mayer, A. Neumair, M.A. Rappenglück (2011), SEM and TEM analysis of minerals xifengite, gupeiite, Fe2Si (hapkeite?), titanium carbide (TIC) and cubic moissanite (SiC) from the subsoil in the Alpine Foreland: Are they cosmochemical?: 42nd Lunar and Planetary Science Conference, 1391.pdf. (http://www.lpi.usra.edu/meetings/lpsc2011/pdf/1391.pdf)

Liritzis, I., N. Zacharias, G.S. Polymeris, G. Kitis, K. Ernstson, D. Sudhaus, A. Neumair, W. Mayer, M.A. Rappenglück, B. Rappenglück (2010), The Chiemgau Meteorite Impact and Tsunami Event (Southeast Germany): First OSL Dating: Mediterranean Archaeology & Archaeometry, Vol.10, No. 4, (in press).

Rappenglück B., K. Ernstson, W. Mayer, A. Neumair, M.A. Rappenglück, D. Sudhaus, K.W. Zeller (2009), The Chiemgau impact: an extraordinary case study for the question of Holocene meteorite impacts and their cultural implications, Proceedings, Cosmology across cultures, ASP Conference Series 409, San Francisco, Astronomical Society of the Pacific, 338-343. (http://www.aspbooks.org/a/volumes/article_details/?paper_id=30130)

Rappenglück, B., M.A. Rappenglück, K. Ernstson, W. Mayer, A. Neumair, D. Sudhaus, I. Liritzis (2010), The fall of Phaethon: a Greco-Roman geomyth preserves the memory of a meteorite impact in Bavaria (south-east Germany), Antiquity 84, 2010, 428-439. (http://antiquity.ac.uk/ant/084/ant0840428.htm)

Schüssler, U., M. Rappenglück, K. Ernstson, W. Mayer, B. Rappenglück (2005), Das Impakt-Kraterstreufeld im Chiemgau: European Journal of Mineralogy 17, Beihefte 1, 124.

Streit um Meteoritenkrater im Chiemgau

Nachtrag

Am 25.8.2010 schreibt Wissenschaftsredakteur Markus Becker in SPIEGEL online einen längeren Artikel zum Thema:
Chiemgau-Einschlag – Forscher halten Kelten-Kometen für Legende

Am Schluss seines Textes, der relativ ausgewogen beide Seiten zu Wort kommen lässt, insbesondere aber auch ausführlicher auf die wissenschaftlichen, den Impakt stützenden Untersuchungen anderer Forschergruppen eingeht, wird Dr. Roland Eichhorn, Abteilungsleiter Geologie am Bayerischen Landesamt für Umwelt (LfU) so zitiert:

LfU-Geologe Eichhorn versucht nun offenbar, den Anhängern der Meteoritentheorie eine goldene Brücke zu bauen. Denn dass ein kosmisches Geschoss den Tüttensee erschaffen habe, sei auch nach der neuen Untersuchung weiterhin möglich. „Vielleicht sollte man in der Eiszeit weiterforschen“, schlägt Eichhorn vor.

Das CIRT meint dazu, dass hier nicht den Anhängern der Meteoritentheorie eine goldene Brücke gebaut werden soll. Vielmehr erscheint es so, als ob Dr. Eichhorn sich selbst und seinen Mitarbeitern eine goldene Brücke bauen möchte, um ohne allzu großen Gesichtsverlust aus der Angelegenheit herauszukommen. Allerdings zeigt sein Hinweis auf einen möglichen Meteoriteneinschlag mit der Bildung des Tüttensees in der Eiszeit erneut, dass Dr. Eichhorn und seine Mitarbeiter sich bis heute absolut kein Bild von den geologischen Vorgängen und Beobachtungen am Tüttensee gemacht haben. Wie in allen Publikationen des CIRT, in Fachjournalen und im Internet, nachzulesen und im Impakt-Museum in Grabenstätt eindrucksvoll präsentiert, muss der Impakt viele tausend Jahre nach der Eiszeit stattgefunden haben. Das zeigen unwiderlegbar die archäologischen Funde in der Impakt-Katastrophenschicht, in der sie zusammen mit den diagnostischen Impaktgesteinen angetroffen werden.

Auf eine Brücke in Richtung CIRT könnte das LfU zugehen, wenn sich Dr. Eichhorn entschließen könnte, mit seinen Mitarbeitern eine Exkursion unter wissenschaftlicher Leitung des CIRT an den Tüttensee und in das Impakt-Museum in Grabenstätt zu machen. Die Geologen vom LfU könnten sich endlich ein Bild von einer der faszinierendsten geologischen Stellen der jüngsten geologischen Geschichte in Bayern machen. Das CIRT meint, dass dafür der Steuerzahler vermutlich Verständnis hätte.

Auch eine andere Sache im SPIEGEL online-Bericht soll noch nachgetragen werden. In der Bilderfolge zu diesem Bericht werden Luftbilder von der Eggstätter Seenplatte nordwestlich vom Chiemsee gezeigt, mit der Bildunterschrift, dass es sich dabei um vom CIRT angesehene Meteoritenkrater handele. Das ist unzutreffend. Die Aufnahmen wurden dem SPIEGEL bereits von mehreren Jahren in einem anderen Zusammenhang übergeben. Sie sollten dem SPIEGEL-Redakteur klar machen, dass die einfache morphologische Signatur einer wassergefüllten Hohlform nichts über ihre Genese aussagt, sondern dass erst intensive geologische, geophysikalische und mineralogische Untersuchungen dafür notwendig sind. Dieses Beispiel greifen wir aber gerne wieder auf im Zusammenhang mit dem Tüttensee, für den es diese intensiven Studien ja nun in der Tat gibt und mit denen der Toteisursprung widerlegt wird. Ob es sich bei der Eggstätter Seenplatte überhaupt um Toteissenken handelt, wie allgemein von den Eiszeitgeologen vor Ort angenommen, ist ohnehin fraglich. Seen im Alpenvorland können durch die verschiedensten Prozesse entstanden sein, und selbst Eiszeitforscher mahnen an, dass die eiszeitlichen Toteislöcher seit Generationen von Geologen und Geographen als reine Spekulation anzusehen seien, für die niemals Belege vorgelegt wurden. In diesem Zusammenhang ist die kluge wissenschaftliche Abhandlung von Manfred R. Martin „Zu den für die Eiszeitglaziologie wichtigen kleinen Hohlformen und zur Frage des Entstehens der Sölle; viademica.verlag, Berlin 2007“ zu nennen.

Und hier dazu der empfehlenswerte Link zur Internetseite von Manfred R. Martin: Forschungen zur Eiszeitglaziologie!

Neu in der Diskussion:

Streit um Meteoritenkrater im Chiemgau – Erwiderung des Chiemgau Impact Research Teams auf die Pressemitteilung des Bayerischen Landesamtes für Umwelt
Kurzfassung

In einer Pressemitteilung an die Deutsche Presseagentur dpa verweist Dr. Roland Eichhorn, Leiter der Geologieabteilung am Bayerischen Landesamt für Umwelt (= LfU), auf eine Internetpräsentation mit Resultaten des Amtes, die den Meteoriten-Einschlagcharakter des Tüttensees zurückweisen und den Toteisursprung erneut bekräftigen sollen.
Bei genauerem Hinsehen und Analyse der Internetpräsentation wird ersichtlich – für den normalen Leser kaum erkennbar – dass die Bodenproben, auf die sich die Argumentation des Amtes stützt, nicht, wie es die Pressemitteilung nahelegt, aus dem Kesselboden entnommen wurden, sondern vom Rand des Sees. Der Begriff „Kesselboden“ soll dem Leser wohl suggerieren, es handle sich um Proben aus der Mitte des Sees. Das Chiemgau Impact Research Team (= CIRT) hat bereits vor Jahren anhand einer eigenen Gravimetriemessung (Schwerkraftmessung) und Probenentnahmen, sowie Daten, die aus einer Seismikmessung (Sedimentecholot) zur Verfügung gestellt wurden, festgestellt, dass in der betreffenden Uferregion des Sees ungestörte Bodenverhältnisse anzutreffen sind. Das LfU hätte sich bei entsprechender Kommunikation mit dem CIRT viel Arbeit und den überflüssigen Einsatz von Steuergeldern ersparen können.
Die sowohl vom CIRT als auch jetzt vom LfU festgestellten Befunde überraschen das CIRT nicht. Dass das LfU meint, mit seinen Ergebnissen der Meteoritenkrater-Theorie des CIRT nun den Garaus gemacht zu haben, offenbart nur, dass das LfU keine Experten hat, die mit den komplizierten geophysikalischen Prozessen bei einem Meteoriteneinschlag vertraut wären. Warum die Befunde am Seeufer mit der Theorie eines Meteoriteneinschlags problemlos vereinbar sind, erläutert das CIRT auf seiner Webseite www.chiemgau-impakt.de.
Im Übrigen unterläuft dem LfU ein bemerkenswerter Argumentationsfehler: Eine Datierung kann nicht als Widerlegung eines Meteoriteneinschlags herhalten, sondern höchstens den Zeitpunkt des Ereignisses betreffen. Mit den geologisch-mineralogischen Nachweisen für einen Meteoriteneinschlag dagegen, die das CIRT zuhauf rund um den Tüttensee vorgefunden und in einem peer-reviewed wissenschaftlichen Aufsatz veröffentlich hat, hat sich das LfU nicht auseinandergesetzt.
Abschließend sei auf die eindeutig polemische Zielsetzung der Pressemitteilung des LfU verwiesen: Niemand vom CIRT und auch sonst kein ernst zu nehmender Forscher, wenn überhaupt irgendwer, hat jemals behauptet, dass der Tüttensee im Zusammenhang des sog. Clovis-Impakts in Nordamerika vor ca. 12.500 entstanden sei. Diese Äußerung kann nur als billige Stimmungsmache verstanden werden.
Die detaillierte Stellungnahme des CIRT zur Pressemitteilung des LfU können Sie hier anklicken:

IMPAKT-KRITERIEN für das Chiemgau-Impaktereignis und Meteoritenkrater-Streufeld

Wann ist ein Meteoritenkrater ein Meteoritenkrater?

macha
Image courtesy Google Earth

Es gibt Leute, die glauben, daß das dann der Fall ist, wenn ein diskutierter Krater von einem Gremium für akzeptiert befunden wird und dann in eine offizielle Datenbank Eingang findet, wie es z.B. bei der Datenbank Earth impact database der Universität von New Brunswick in Kanada der Fall ist. Andere Leute sind dagegen überzeugt, daß ein Meteoritenkrater dann ein Meteoritenkrater ist, wenn es klare wissenschaftliche Befunde für einen meteoritischen Ursprung gibt, und diese Leute bezweifeln, daß irgendein Gremium zuständig sein kann, um über Resultate wissenschaftlicher Forschung zu befinden. Das ist ein Grund, warum unterschiedliche Datenbanken ganz unterschiedliche Zahlen für etablierte irdische Meteoritenkrater (Impaktstrukturen) nennen. Lassen wir diesen feinen Unterschied einmal beiseite, so gibt es eine ganze Reihe von Kriterien (z.B. morphologische, geologische, geophysikalische, mineralogisch-petrographische, geochemische) als Basis für eine Beurteilung eines Meteoritenkraters, und einige dieser Kriterien gelten als Beweis für einen Impakt. Mit anderen Worten und um es einfach auszudrücken: Bei der Kartierung basaltischer Gesteine im Gelände wird man überzeugt sein, es mit Vulkanismus zu tun zu haben, und bei der Kartierung von Gesteinen mit Schockmetamorphose wird man überzeugt sein, daß in der Nähe ein Impakt stattgefunden haben muß.

Impakt-Kriterien – zwingende und weniger zwingende – wie sie von Norton, O.R. (2002): The Cambridge Encyclopedia of Meteorites. – Cambridge University Press, pp. 291-299, und French, B.M. (1998): Traces of Catastrophe. A Handbook of Shock-Metamorphic Effects in Terrestrial Meteorite Impact Structures. Lunar and Planetary Institute, pp. 97-99 (hier ein (Download der pdf-Datei), und anderen zusammengestellt wurden, sind:

1. Morphologie

Grundsätzlich runde Strukturen; Vertiefungen mit Ringwällen oder/und Zentralhügeln/-bergen, Mehrfachring-Strukturen. Morphologie ist letztlich wenig aussagekräftig, da viele andere geologische Strukturen kreisrund oder ringförmig sein und andererseits echte Impaktstrukturen stark von einer solchen Form abweichen können.

2. Geophysikalische Anomalien

Viele Impaktstrukturen sind eng mit charakteristischen gravimetrischen und magnetischen Anomalien verknüpft, aber umgekehrt erlauben gemessene Anomalien im allgemeinen nicht, von ihnen auf ein Impaktereignis zu schließen. Seismische Reflexionsmessungen mögen im Untergrund verborgene Impaktstrukturen anhand charakteristischer Schichtlagerung aufzeigen.

3. Geologische Merkmale

In Impaktstrukturen und um sie herum findet man regelmäßig: starke Deformationen, Faltung, Verwerfungen, Zerbrechungen; polymikte und monomikte Brekzien und Brekziengänge, Megabrekzien; Hochdruck-/Kurzzeit-Deformationen von Klasten in unverfestigter Matrix; Gesteine, die wie Vulkanite oder Magmatite aussehen; Horizonte aus exotischem Material.

4. Hochtemperatur-Merkmale

Schmelzgesteine, natürliche Gesteinsgläser; Brekzien mit Schmelzgesteins- und Glaskomponenten.

5. Hochdruck-Merkmale – Schockmetamorphose (Schockeffekte)

Planare Deformationsstrukturen (PDFs) in Quarz, Felspäten und anderen Mineralen; planare Brüche (PFs) in Quarz, diaplektische Quarze und Feldspäte, diaplektische Gläser; multiple Scharen intensiver Knickbänderung in Glimmern, multiple Scharen von Mikrozwillingen in Calcit. Knickbänder in Glimmer und planare Brüche (Spaltbarkeit) in Quarz sind auch von extremer tektonischer Deformation bekannt.

6. Shattercones

Steinheim shatter cone Sudbury shatter cone

Shattercones, hier in Kalkstein aus dem Steinheimer Becken und in Quarzarenit aus der Sudbury-Impaktstruktur, sind charakteristische schockerzeugte kegelförmige Bruchflächen, die in allen Festgesteinen auftreten können. Shattercone-Bruchflächen zeigen die ganz typischen „Pferdeschwanz“-Bruchflächenmarkierungen.

7. Besondere Merkmale

Auftreten von Mikro- und Nanodiamanten; akkretionäre Lapilli; verschiedene Arten von Sphärulen. – Sphärulen können auch anthropogen sein.

8. Meteoriten-Bruchstücke

Sie fehlen in größeren Meteoritenkrater in den allermeisten Fällen, und zwar wegen der vollständigen Verdampfung des Projektils beim Aufschlag. Mikroskopischer geochemischer Nachweis des Impaktors ist prinzipiell möglich. Bruchstücke des Meteoriten werden im allgemeinen bei jungen, kleinen Kratern gefunden. Allerdings sind die im Macha-Kraterstreufeld (Jakutien) gefundenen wenigen Partikel, die man für meteoritisch hält, nicht größer als 1,2 mm.

9. Direkte Beobachtung (historische Aufzeichnung)

Abgesehen von beobachteten Meteoritenschauern (z.B. Sikhote Alin) sind Impakte, die einen Meteoritenkrater gebildet haben, nicht überliefert. Geomythen mögen als Dokumente beobachteter/erlebter Impakte gedeutet werden.

Gegenwärtiges Einvernehmen besteht dahingehend, daß die Punkte 5. Schockeffekte, 6. Shattercones, 8. Meteoritenbruchstücke und 9. Direkte Beobachtung bereits jeder für sich allein genommen eine Bestätigung für ein Impaktereignis darstellen.

Die Kriterien 1. – 9. – angewendet auf
das Chiemgau-Kraterstreufeld

1. Morphologie – ja

Unzählige kreisförmige Krater mit Ringwällen.

rimmed crater no. 004

Der Krater 004 im Chiemgau-Kraterstreufeld mit einem Durchmesser von 11 m. Man beachte den ausgeprägten Ringwall.

2. geophysikalische Anomalien – ja

– Negative Schwereanomalie des Tüttenseekraters umgeben von einer bemerkenswerten Zone relativ positiver Anomalien.

– Ein ausgeprägter Horizont stark erhöhter magnetischer Bodensuszeptibilität im Streufeld

Tüttensee gravity anomaly

Gravimetrie: Bouguer-Restfeldanomalie des Tüttensee-Krater.

soil magnetic susceptibility

Anomalie in einem Bodenprofil der magnetischen Suszeptibilität nahe dem Tüttenseekrater

3. Geologische Merkmale – ja, viele

Tüttensee breccia

Bunte polymikte Impaktbrekzie aus der Schicht der Tüttenseekrater-Auswurfmassen.coherent clasts

Stark zerbrochene jedoch kohärent verbliebene Karbonat- und Silikatklasten aus der Schicht der Tüttenseekrater-Auswurfmassen: Anzeichen einer Hochdruck-/Kurzzeit-Deformation.

squeezed cobble

Stark zerbrochenes und gequetschtes jedoch kohärent verbliebenes Quarzitgeröll vom Ringwall des Tüttensee-Kraters: Anzeichen einer Hochdruck-/Kurzzeit-Deformation.Stöttham exotic layer

Der exotische Impakt-Horizont (Pfeil) von Stöttham.

4. Hochtemperatur-Merkmale – ja

Tüttensee impact melt rock

Bimsartiges Impakt-Schmelzgestein vom Tüttensee-Krater..welded cobbles

Zwei glasummantelte Gerölle, die durch schlackeartiges Glas miteinander verschweißt sind (aus Krater 004).

melt rock

Schnitt durch ein silikatisches Geröll von Krater 004. Extrem blasenreiches und zerrissenes Gestein, in dem außer Quarz alle Minerale mehr oder weniger in Glas umgewandelt sind, was dem Gestein die dunkle Farbe verleiht. Die weit geöffneten Risse mögen von einer Schock-Spallation herrühren.

5. Schockmetamorphose (Schockeffekte) – ja

PDFs, Tüttensee PDFs, Popigai

„Getoasteter“ Quarz mit multiplen Scharen von PDFs. Dünnschliff-Aufnahme, xx Polarisatoren, Quarzit-Geröll vom Ringwall des Tüttensee-Kraters. „Getoasteter“ Quarz ist ein verbreitetes Merkmal in geschockten Körnern und wird mit winzigsten Flüssigkeitseinschlüssen erklärt. – Rechts zum Vergleich: Getoasteter Quarz mit PDFs aus der Popigai-Impaktstruktur (Russland).

PDFs, crater 004

Zwei Scharen planarer Deformationsstrukturen (PDFs) in Quarz; Dünnschliff-Aufnahme, xx Polarisatoren, Bildbreite 1,5 mm; Quarzitgeröll vom Chiemgau-Impaktkrater 004. Die schwach gebogenen PDFs dürfen nicht irritieren: Obwohl es Autoren gibt, z.B. Reimold & Koeberl (2000), die gebogene PDFs als nicht-impaktogen bezeichnen, zeigen das Beispiel der gebogenen Popigai-PDFs im Bild oben und viele weitere Beispiele aus verschiedenen Impaktstrukturen, daß die Meinung von Reimold & Koeberl unzutreffend ist.

shocked plagioclase

Zwillingslamellen und multiple Scharen von PDFs in Feldspat. Dünnschliff-Aufnahme, xx Polarisatoren; Impakt-Schmelzgestein vom Tüttensee-Krater.

6. Shattercones – ja

shatter cone Tüttensee

Shattercones vom Tüttensee in gegenläufiger Position. Gestein: feinkörniger Sandstein.

7. Besondere Merkmale – ja

Nanodiamanten – ja

Artikel

Rösler W., Hoffmann V., Raeymaekers, B., Schryvers, D. and Popp, J. (2005) Diamonds in carbon spherules – evidence for a cosmic impact? (http://www.lpi.usra. edu/meetings/metsoc2005/pdf/5114.pdf; 7.5.2006).

Akkretionäre Lapilli – ja

Lapillo Chiemgau Lapillo Chiemgau2

Akkretionäre Lapilli (rechts mit einem Kern aus metallischen Fragmenten) aus dem Chiemgau-Impaktstreufeld. Lapilli-Durchmesser etwa 4 – 5 mm. Gewöhnlich sind akkretionäre Lapilli vom Vulkanismus her bekannt, aber sie sind auch bei Impaktstrukturen nachgewiesen worden, wo sie sich in der Impakt-Explosionswolke gebildet haben.

Sphärulen – ja

glass spherule

2 mm große zerbrochene Glassphärule aus der Stöttham-Impaktschicht.carbon spherules

Kohlenstoff-Sphärulen von verschiedenen Stellen im Chiemgau-Impaktstreufeld. Siehe auch: Yang, Z.Q. et al., 2008: TEM and Raman characterization of diamond micro- and nanostructures in carbon spherules from upper soils. – Diamond and Related Materials 17/6: 937-943.

8. Meteoriten-Bruchstücke – wahrscheinlich ja

Exotisches Material wie die Eisensilizide Gupeiit und Xifengit sowie Karbide wie Titankarbid und das Siliziumkarbid Moissanit deuten auf einen extraterrestrischen Ursprung.

moissanite

REM-Bild von Moissanit-Kristallen in Eisensilizid-Matrix. Probe aus dem Chiemgauer Meteoritenkrater-Streufeld.

gupeiite suessite

Vergleich der Analysen von einem Chiemgauer Gupeiit und meteoritischem Suessit.

9. Direkte Beobachtung (historische Aufzeichnung) – möglicherweise ja

Rubens_Fall_of_Phaeton

Peter Paul Rubens: Der Fall des Phaethon, National Gallery of Art, Washington